Töchter des Schweigens
Proleten gesagt, für uns schickte sich das nicht.«
Beide lachten, Candela bestellte ein Mineralwasser mit Kohlensäure und Zitronenschnitz und schaute Rita erwartungsvoll an. Da diese sich anscheinend nicht zum Sprechen entschließen konnte, begann sie selbst: »Also gut, Marga, warum hast du mich angerufen? Nachdem du mir in dreißig Jahren nicht mal eine Postkarte geschrieben hast, willst du mir doch nicht weismachen, du hättest plötzlich Sehnsucht nach mir.«
Rita war wie vor den Kopf geschlagen und stotterte fast.
»Du hast doch gesagt, du hättest mich vermisst …, und ich soll dich anrufen …«
Candela brach in schallendes Gelächter aus.
»Ja. Du hast recht. Ich für meinen Teil habe dich sehr wohl vermisst, aber man gewöhnt sich an alles.«
Das darauffolgende Schweigen zog sich für Rita endlos in die Länge, trotz der Ablenkung durch den Kellner, der das Wasser und ein Tellerchen geröstete Mandeln servierte.
»Wir haben es verschissen, das ist dir doch klar.« Candela sprach in lockerem, neckischem Ton, der in einem harten Gegensatz zu ihren Worten stand. »Wir hatten so große Pläne, so viele Träume … Weder du noch ich sind, was wir einmal werden wollten.«
»Ich schon.«
»Hör doch auf. Kunstgeschichte wolltest du studieren, weißt du nicht mehr? Und in Museen arbeiten, die Welt sehen und dich von keinem Mann schikanieren lassen.«
»Das ist mir gelungen«, sagte Rita, schon in Abwehrhaltung. »Mich von keinem Mann schikanieren zu lassen.«
»Was du nicht sagst. Dafür lässt du dich jetzt von einer Frau schikanieren. Wenn du das besser findest …«
Candela hatte sich im Sessel zurückgelehnt und hielt ihr Glas in einer tief gebräunten Hand, die von hervorstehenden Adern überzogen und mit zwei dicken Ringen aus Silber und Edelsteinen geschmückt war. Sie war so mager, dass ihr Gesicht wirkte wie eine spöttische Ledermaske. Nur ihre Augen waren noch dieselben, schimmernd, strahlend.
»Ingrid ist nur eine Freundin und meine Assistentin.« Allmählich hatte sie es satt, immerzu Erklärungen über ihr Liebesleben abgeben zu müssen, aber verstanden und akzeptiert zu werden war ihr schon immer ein Anliegen gewesen.
»Zumindest warst du mutig genug, dich für eine Frau zu entscheiden.«
»Herrje, Candela, nein! Jetzt geh mir nicht auf den Wecker, verdammt noch mal!«
Candela lehnte sich über den Tisch und durchbohrte sie mit ihren grauen, von dichten getuschten Wimpern umrahmten Augen, die über die Jahre tatsächlich nichts von ihrem Glanz eingebüßt hatten.
»Weißt du denn nicht mehr, dass wir zusammen sein wollten? Dass du mit mir zusammen sein wolltest? Sommer 74. Kannst du dich noch schwach erinnern?«
Rita drückte die Zigarette aus, zerquetschte die Glut, bis in dem Glasschälchen nur noch Asche war, und steckte sich die nächste an.
»Das ist über dreißig Jahre her, Candela.«
»Dreiunddreißig. Aber die Vergangenheit ist nicht zu ändern, da kann man sich noch so sehr bemühen, sie noch so sehr verleugnen, sich ihrer noch so sehr schämen.«
»Warum hast du mich nicht zu dir nach Hause eingeladen?«, fragte Rita plötzlich geradeheraus, womit sie unbewusst versuchte, sich dafür zu rächen, dass Candela ihr wehtat.
»Damit du nicht denkst, ich wollte dich in Bedrängnis bringen, dich in meinen Bau locken oder so. Aber ich sehe schon, ich war viel zu rücksichtsvoll. Oder zu optimistisch. Ich weiß nicht. Ich hätte halt nie damit gerechnet, dass du es schlicht vergessen haben könntest.«
»Du stehst also immer noch auf Frauen?«
»Nein, Marga. Ich steh immer noch auf dich.« Sie trank ihr Glas in einem Zug aus. »Candela und ihre unverblümte Art, da hast du’s mal wieder.«
»Und Gonzalo?«
Candela verzog die Lippen zu einem Lächeln, das Rita boshaft schien.
»Ein Freund. Mein Kompagnon. Wie Ingrid eben.«
Rita nahm ein paar Mandeln und begann, sie gründlich durchzukauen. Sie hatte keinen Hunger, aber das Bedürfnis nach etwas Hartem zwischen den Zähnen.
»Warum isst du diese Scheißmandeln? Das war schon immer dein Problem, Marga, dass du dazu erzogen wurdest, alles in dich hineinzufressen, was man dir vorsetzt, in jeder Beziehung, und du hast es nie geschafft, dich dagegen aufzulehnen.«
»Aber, verflucht noch mal, was weißt du denn von mir? Für wen hältst du dich eigentlich?« Ritas Stimme klang zunehmend schrill. »Wer gibt dir das Recht, über mich zu urteilen, dich in mein Leben einzumischen, dir einzubilden, dass du mich kennst,
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