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Töchter des Schweigens

Töchter des Schweigens

Titel: Töchter des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elia Barceló
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könnt.«
    Lächelnd diktierten sie einander ihre Telefonnummern, vertippten und korrigierten sich, und während Rita Manolos Nummer speicherte, musterte er sie von oben bis unten, als müsste er ein Gutachten über ihren Konservierungszustand erstellen.
    »Ich finde, du siehst sehr gut aus, Marga, wirklich ausgesprochen gut.«
    »Danke.«
    »Bist du verheiratet?«
    »Nein. Ich führe ein so verrücktes Leben, das hält kein Ehemann aus.«
    »Du hast völlig recht. So lebt es sich am besten. Seit ich wieder frei bin, stelle ich fest, dass ich mich so am wohlsten fühle. Tja, ich war zweimal verheiratet, für nichts und wieder nichts. Allerdings haben mich beide gehörig geschröpft. Und sind noch lange nicht fertig damit … Aber Geld habe ich genug, also will ich nicht jammern.«
    »Läuft deine Fabrik gut?«
    »Welche Fabrik? Ich bin schon seit über zwanzig Jahren Bauunternehmer. Wenn du dich im Dorf umschaust, wirst du feststellen, dass alles, was etwas taugt, von mir ist. CORTESSA CONSTRUCCIONES , kommt dir das nicht bekannt vor?«
    Doch, es kam ihr bekannt vor, aber sie wusste nicht, wo sie es gelesen hatte, und zog es deshalb vor, den Kopf zu schütteln.
    »Klar, du lebst ja nicht mehr hier. Aber du wirst diesen Namen noch öfter hören. Zurzeit ist das Geschäft ein bisschen zurückgegangen, aber wir hatten ein paar großartige Jahre. Und es wird wieder anziehen. Lass dir das gesagt sein, es wird wieder anziehen.«
    »Na gut, Manolo, verzeih, aber ich muss gehen, sonst schaffe ich es nicht mehr rechtzeitig.«
    »Wie gesagt, ich rufe dich an, sobald der Moros-y-Cristianos -Trubel vorbei ist, und führe dich ein bisschen aus, damit du mal siehst, dass wir hier auch nicht hinterm Mond sind.«
    Sie gaben einander noch zwei Küsschen, und Rita entfernte sich mit dem Gefühl, dass Manolos Blick ihr Löcher in den Rücken bohrte.

    Ingrids Stimme klang frisch und gut gelaunt.
    »Rita, schön, dass du anrufst! Ich sitze mit Lena, Ana und David in einem Restaurant auf der Plaza Mayor. Noch haben wir nichts zu essen bestellt. Kommst du?«
    Sie sagte zu, versprach, später zu erklären, warum sie den Abend frei hatte, und machte sich auf den Weg zu der genannten Plaza, einem Platz, der zu ihrer Zeit noch nicht existiert hatte, doch waren sie früher häufig in dieser Gegend gewesen, weil es dort zwei Kinos gab: das Coliseo und das Alcázar. In diesen Kinos – und den zehn anderen, die es in dem Städtchen gegeben hatte, die aber anscheinend verschwunden waren – hatte sie sehr viel Zeit verbracht. Schon in ihrer Kindheit war das Kino ihre Zuflucht gewesen, ihr Fenster zur Welt, einer Welt, die wirklicher und voller war als die dumme, platte, vorhersehbare, die sie umgab. Zwischen ihrem vierten und ihrem achtzehnten Lebensjahr hatte sie Hunderte, Tausende von Filmen gesehen in diesen wunderbaren kontinuierlichen Doppelprogrammen, in die man jederzeit hineingehen konnte, auch wenn der Film bereits angefangen hatte und man Mühe hatte zu verstehen, was sich auf der Leinwand abspielte. Später, wenn der Streifen nach dem Einschub eines zweiten Films wieder von vorn anfing, überprüfte sie, ob das, was sie sich dazugedacht hatte, mit der vom Drehbuchautor geschaffenen Realität übereinstimmte. Sie war schon immer der Meinung gewesen, dass das ihre Generation schöpferischer gemacht hatte, das und die Filmforen ihrer Jugend, wo sie sich donnerstags abends anspruchsvolle und gewagte Autorenfilme angesehen und manchmal bis Mitternacht darüber diskutiert hatten, weil sie nicht verstanden, warum alle Figuren blau gekleidet waren oder was der Regisseur damit ausdrücken wollte, dass er eine Katze eine Blutlache aufschlecken ließ. Heutzutage sprachen nur noch Leute, die sich selbst für intellektuell hielten, eine Weile über den Film, aus dem sie gerade kamen. Die meisten gingen ins Kino, um sich zwei Stunden unterhalten zu lassen, Popcorn zu essen und sich wieder ihren Angelegenheiten zuzuwenden, kaum dass sie draußen waren. Für die Jugend war das Kino zu einem Ersatz für die Vergnügungsparks geworden, und sie wollten nichts weiter als Explosionen, Action, Blut, stereotype Verhaltensweisen und etwas Sex. Schnellen, animalischen Sex, der nicht von Herzen, sondern aus dem Unterleib kam.
    Und trotzdem beharrte sie darauf, hintergründige Filme zu machen, reich an Dialogen, Nuancen und Gefühlen, und Fährten zu legen, damit intelligente Zuschauer ihnen nachspüren konnten.
    Es war eine laue, fast warme Nacht, und das

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