Töchter des Schweigens
Produzenten, Kameraleuten, Schauspielern, Spezialisten; eine Frau aus Stein.
Im letzten Abendrot, nachdem sich die Sonne bereits hinter dem Horizont versteckt hatte, war die Luft von der Farbe reifer Pfirsiche, und Schatten legten sich über die Felsen, die das Haar der Schlafenden bildeten. »Schlaf weiter«, flüsterte sie, »schlaf, Prinzessin, und wach niemals auf.«
Sie schaltete die Autoscheinwerfer ein und versuchte, sich auf die Straße zu konzentrieren, ohne an etwas zu denken, und sich nur mit der unmittelbaren Zukunft zu beschäftigen. Würde Ingrid zu Hause sein? Und wenn nicht? Hatte sie Lust, jemanden anzurufen, oder würde sie lieber allein irgendwo essen gehen? Denn ganz bestimmt hatte sie nicht vor, in Tante Doras finsterer, ausgestorbener Wohnung Schränke und Schubladen zu durchwühlen.
Sie stellte das Auto ein paar Ecken weiter ab, um nicht am nächsten Morgen in aller Frühe aufstehen und einen Parkschein ziehen zu müssen, und bummelte durch die Straßen, wo sie vielen Jugendlichen begegnete, die auf dem Weg zu Privatstunden, Sportstudios, Bars, Läden waren oder von dort kamen …, alle munter schwatzend, alle in Pärchen oder Gruppen, mit Ausnahme einiger Mädchen, die allein unterwegs waren, die Arme um eine Mappe geschlungen und in Gedanken versunken, wie sie selbst vor langer Zeit. Sie fragte sich, was das Leben für diese jungen Leute wohl bereithalten mochte, welche Überraschungen sie hinter den Kurven der Zeit erwarteten.
Als das Haus in Sichtweite war, schaute sie nach oben und stellte fest, dass alle Fenster dunkel waren. Ingrid hatte Hummeln im Hintern und für heute vermutlich genug Staub geschluckt. Wie sie sie kannte, saß sie auf der Terrasse irgendeines Lokals und unterhielt sich angeregt mit dem Erstbesten, um sich zugehörig zu fühlen. Es würde ihr nichts anderes übrig bleiben, als sie anzurufen und nach ihren Plänen zu fragen. Sie selbst hatte im Moment keine Idee.
Das Handy schon gezückt, fiel ihr ein Mann auf, der vor Tante Doras Haus stand und auch nach oben blickte. Sie kannte ihn nicht, und er sah auch nicht aus wie ein Galan, der auf das Mädchen wartete, mit dem er verabredet war. Er war stämmig und muskulös, mit vorgewölbtem Bauch, fortgeschrittenem Haarausfall und hellem Bart.
Der Mann starrte sie auf eine Weise an, die ihr dreist erschien, und plötzlich erstrahlte sein Gesicht in einem immer breiteren Lächeln.
»Marga! Du bist es tatsächlich!«
Offenbar kannten sie sich. Und zwar von früher. Kein Mensch nannte sie mehr Marga außer Candela, die damit klarzustellen versuchte, dass sie an ihre alte Beziehung anknüpfen und diese bewahren und wiederbeleben wollte.
»Hallo!«, gab sie dennoch so keck wie möglich zurück, um nicht zugeben zu müssen, dass sie nicht wusste, wer er war.
»Du erinnerst dich doch an mich, oder nicht? Manolo. Manolo Cortés.«
Es klang so sehr nach »Bond. James Bond«, dass sie losprustete und ihr Auflachen als Hustenanfall tarnen musste. Aber es stimmte. Es war Manolo. Um dreißig Jahre älter. Um dreißig Jahre fetter und glatzköpfiger und um mindestens fünfzig Jahre geschmackloser. Als sie zusammen waren, war er ein ziemlich attraktiver Junge gewesen. Jetzt war er ein Mann, der seinem eigenen Vater ähnelte, allerdings hätte Manolos Vater seine Wampe niemals in dieses rosa Polohemd gepresst und dazu einen italienischen Markengürtel getragen.
»Klar, Mann, natürlich erinnere ich mich an dich. Es ist nur der Bart …«
Sie gaben sich zwei Wangenküsse, und als sie ihm in die Augen sah, glaubte Rita im selben Moment, unter der braunen Haut und dem ergrauenden Bart ihren jungen Verehrer wiederzuerkennen.
»Was machst du hier?«, fragte sie, um sich seinen Armen so schnell wie möglich zu entwinden.
»Ich wohne hier. Nicht wie manche andere …«
»Hier? In diesem Haus?«
»Ach was.« Das sagte er, als wäre es undenkbar, dass ein Mann seines Kalibers in diesem uralten Gemäuer leben könnte. »Hier im Ort. Aber meine Tochter Vanessa wohnt hier nebenan. Ich wollte sie zum Essen einladen, wenn sie Zeit hat. Kommst du mit?«
Rita schüttelte den Kopf und hörte sich gekünstelt und ein wenig überkandidelt lachen.
»Nein, danke, heute kann ich nicht. Ich bin schon verabredet.«
»Wie schade! Wenn wir uns schon mal über den Weg laufen … Hör zu, gib mir deine Nummer, und ich rufe dich gleich nach dem Fest an. Dann werde ich dich in ein Restaurant führen, von dem ihr in London nur träumen
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