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Töchter des Schweigens

Töchter des Schweigens

Titel: Töchter des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elia Barceló
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an, Prinzessin, ohne es anzusehen, und frag nicht, warum, denn das ist ein Spiel.« Ihre Verlegenheit, als sie entdeckte, dass das Päckchen voller durchsichtiger, verschiedenfarbiger Höschen war, wie sie sie noch nie gesehen hatte, wie sie 1967 in Spanien noch nie jemand gesehen hatte. »Welchen Schlüpfer hast du an? Antworte mir! Schnell! Nicht gucken!« Eine Pause, um ihr Zeit zu geben, die auf Deutsch gestellte Frage zu verstehen. »Du sollst mir sagen, welche Farbe das Höschen hat, das du trägst.« Ihre schüchterne, verängstigte, unschlüssige Kinderstimme: »Blau?« »Sehen wir mal nach, ob du richtig geraten hast.« Die riesigen Hände, die den Rock ihrer Schuluniform hochhoben; die Augen, glühend wie Kohlen in dem dunklen Raum, in den nur die Tischlampe einen hellen Kreis malte. »Falsch, Prinzessin. Dein Schlüpfer ist rot. Meine Lieblingsfarbe.« Und wenn sie sich irrte, bestand die Strafe darin, dass er ihr den Schlüpfer herunterzog, sie übers Knie legte und ihr ein paar Klapse gab. »Nur zum Spaß, Dummerchen, es ist nur ein Spiel, damit du die Farben nie mehr vergisst. Das sind moderne Lehrmethoden, weißt du? Europäische Methoden.«
    Bis heute dreht sich ihr der Magen um bis zum Erbrechen, wenn sie in irgendeinem Zusammenhang von »europäischen Methoden« hört. Auf die gleiche Weise hat sie immer die Königshäuser verabscheut, seit Onkel Ismael im darauffolgenden Jahr alle anderen modernen pädagogischen Methoden satt hatte und mit dem Zepterspiel anfing.
    Im Lauf ihres Lebens als Diplomatengattin hat sie bei zahlreichen Gelegenheiten Ihre Majestäten begrüßen müssen und jedes Mal hinterher diese grauenhaften Kopfschmerzen gehabt, wie damals, als Onkel Ismael ihr erklärte, dass aus jeder Prinzessin einmal eine Königin würde und jede Königin in der einen Hand ein Zepter und in der anderen einen Reichsapfel hielte, wie die Königin Elisabeth von England. Immer und immer wieder musste sie unter der Decke des Kamintischchens dieses Zepter in die Hand nehmen, während sie Gedichte von Schiller, Goethe, Hölderlin vorlas, ohne zu verstehen, was sie sagte. Und dann musste sie es küssen, weil das Zepter ein geheiligtes Symbol war, und dann folgte dieses »Eine Königin muss das Symbol ihrer Macht über die Menschen tief in sich spüren, aber sie muss auch bis zur Ehe jungfräulich bleiben, denn das wird der König, der ihr gebührt, von ihr erwarten«.
    Der Schmerz, die Scham, die Dusche, die deutschen Wörter, so viele Wörter …
    Sie erinnert sich an ihren Vater, wie er sich das Halstuch umbindet, das sie ihm zum Geburtstag geschenkt hat und das der Großvater lächerlich findet, um mit seinen Freunden im Club de Campo Kaffee zu trinken und eine Partie zu spielen, bevor er in die Fabrik geht, und wie sie mit ihren elf Jahren fragt: »Papa, ist das wahr, dass alle Königinnen ein Zepter haben und dass das ein geheiligtes Symbol ist?« Ihr Vater, mit wohlwollendem Lächeln: »Wer sagt das, die Nonnen in der Schule?« »Onkel Ismael.« »Ja, mein Schatz, das stimmt. Dein Onkel hat völlig recht.« In ihrer Familie widersprach keiner dem anderen. Und kurz darauf, schon an der Tür, hört sie ihn beim Abschied höhnisch zu ihrer Mutter sagen: »Ich wusste gar nicht, dass dein Bruder Monarchist ist, wer hätte das gedacht? Ich bin immer davon ausgegangen, dass alle Priester Franco-Anhänger sind, und jetzt kommt er Sole auf einmal mit Geschichten von Königinnen und Zeptern.« »Na ja, besser, er erzählt ihr so was als von Deutschland, einem Land ohne König und ohne Gott.«
    In ihren Schläfen beginnt es zu pochen, und sie presst die Lider zusammen. Nach Ansicht ihres letzten Therapeuten ist es notwendig, sich zu erinnern; es tut weh, aber es reinigt, und so heilen die alten Wunden allmählich zu, bis von dem, was einmal heftige Schmerzen verursacht hat, nur noch kleine Narben bleiben.
    Bei dem Gedanken, dass Onkel Ismael tot ist, begraben und von den Würmern aufgefressen, überkommt sie eine wilde Freude. Sie hofft, dass es für Männer wie ihn im Jenseits eine Hölle gibt, an die sie schon lange nicht mehr glaubt, wie es sie im Diesseits für Frauen wie sie gibt, für das kleine Mädchen, das sie einmal war und jedes Mal wieder ist, wenn die Erinnerungen sie überfallen.
    Sie holt Lenas E-Mails heraus und liest noch einmal die, die ihr am besten gefallen: die über den Kuchen, über Margas Landhaus, über das Moros-y-Cristianos -Fest …, alle, in denen es um die Zeit nach Onkel Ismael

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