Töchter des Schweigens
jedem Schritt ihre langen goldbraunen Beine. Sie ist die aufregendste Frau, die er außerhalb der Kinoleinwand je gesehen hat, und alle Männer im Saal drehen sich nach ihr um, während sie gleichmütig die Tanzfläche überquert, als sei sie ohne besonderen Eifer auf der Suche nach etwas.
César, der mit geschlossenen Augen tanzt, Magdas Körper spürt und den Pfirsichduft ihres Shampoos einatmet, öffnet plötzlich die Augen und begegnet dem Blick der Frau, die ihn auffordernd anlächelt. Ohne es sich zweimal zu überlegen, lässt er Magda los und tritt einen Schritt zurück zum Zeichen, dass er frei ist.
Magda, überrascht von seiner brüsken Geste, dreht sich verwirrt um und sieht, wie die beiden einander mit den Blicken messen.
»César«, sagt sie und fasst ihn bei der Hand, »was ist?«
Er schüttelt sie ab.
»Geh doch mal eine Runde drehen, Magda.«
»Eine Runde drehen? Aber warum denn?«
»Weil ich soeben gefunden habe, wonach ich schon mein ganzes Leben lang suche.« Er geht auf die Frau in Weiß zu, und ohne ein Wort zu wechseln, umarmen sie sich auf eine Weise, die keinen Zweifel daran lässt, dass alles um sie herum belanglos geworden ist.
Magda steht einen Moment wie betäubt da, ohne zu begreifen, was vorgeht. Ihr Blick sucht nach einer ihrer Freundinnen, doch ihre Augen schwimmen in Tränen, und sie kann die Gesichter nicht erkennen. Sie presst die Hände vor den Mund, um das Schluchzen zu unterdrücken, das ihr in die Kehle steigt, drängt sich durch die Tanzenden und stolpert aus der Diskothek.
In einem abgeschiedenen Winkel des Gartens schenkt Mati Sole ihr berüchtigtes schiefes Lächeln und tut, als suchte sie etwas in ihrer Tasche.
»Du wirst es nicht glauben, Sole, aber sieh nur, was ich gefunden habe.«
Sole will weg, zurück zu ihren Freundinnen, aber Mati hat gesagt, sie müsse ihr etwas zeigen, wovon Sole ganz sicher nicht wollte, dass es jemand anderes sähe. Sole hat keine Ahnung, was das sein könnte, aber sie kennt Mati gut genug, um zu wissen, dass es etwas Schreckliches sein muss, etwas, wovon sie tatsächlich nicht will, dass es die anderen erfahren.
»Zeig her«, sagt sie und versucht, desinteressiert zu klingen.
Mati hält ihr ein Foto hin, sie nimmt es entgegen und bemüht sich, das Zittern ihrer Hand zu verbergen. Angewidert, als wäre es ein giftiges Insekt, dreht sie es um und fühlt, wie ihr ganzer Körper trotz der Hitze schlagartig zu Eis erstarrt.
»Was für ein Zufall, dass der Fotograf mein Onkel war, was? Er starb vor einigen Monaten an einem Herzinfarkt. Meine Mutter und ich haben sein Studio aufgeräumt, und in einem gut getarnten Wandschrank habe ich eine Schachtel mit dieser und noch ein paar weiteren Aufnahmen gefunden. Samt den Negativen, natürlich. Tja, ich wusste gar nicht, dass mein Onkel solche Sachen gemacht hat. Und zuerst habe ich dich auch gar nicht erkannt. Du musst damals noch sehr klein gewesen sein, nicht wahr? So zehn oder elf. Aber das bist du, keine Frage.«
Sole kann den Blick nicht von dem Foto wenden: ihr nackter Kinderkörper auf einer granatroten Ottomane, sie weiß, dass sie granatrot ist, obwohl es sich um ein Schwarzweißfoto handelt; ihre Zungenspitze zwischen den geschminkten Lippen; eine Hand auf der Brustwarze ihrer noch flachen linken Brust, die andere zwischen den Beinen auf ihrer haarlosen Scham; der eigentümliche Blick, der immer schwer so hinzubekommen war, wie ihn die beiden Männer haben wollten: der Fotograf mit dem Wieselgesicht und ihr Onkel Ismael, der einen Straßenanzug trug, damit man ihm nicht ansah, dass er Priester war.
»Ich hätte nie gedacht, dass du dich zu Kinderpornografie hergegeben hast, Sole, also mal ehrlich! Ich habe in deiner Familie ja vieles für möglich gehalten, aber das nicht. Wer hat dich in das Fotostudio gebracht? Dein Großvater?«
Sole gibt keine Antwort. Sie bebt wie ein Blatt und beißt sich unwillkürlich auf die Lippen.
»Dein Vater?«, beharrt Mati. »Ich habe von solchen Fällen gehört.« Matis Mund streift fast ihr Ohr. »Hat er dich auch gefickt?« Sole hält sich die Ohren zu, lässt das Foto fallen und rennt blind durch den Garten, gefolgt von Matis Stimme. »Das braucht niemand zu erfahren, Sole. Geheimnisse sind bei mir gut aufgehoben.«
Und dann ihr Gelächter, ihr gellendes anhaltendes Gelächter, das allmählich leiser wird, während Sole verzweifelt zum Hotel läuft und weiß, dass es kein Entrinnen gibt, dass alles, was sie begraben glaubte, im Begriff ist, ans
Weitere Kostenlose Bücher