Töchter des Schweigens
Praxis verließ.
Sie standen schon in der Tür, als Teresa leise fragte: »Wirst du tun, was wir ausgemacht haben?«
Candela lächelte ihr berühmtes herablassendes Lächeln.
»Keine Sorge. Nachdem ich mein Leben lang Angst vor dem Gerede der Leute gehabt habe, kümmert es mich jetzt mit einem Mal überhaupt nicht mehr.«
»Danke, Candela.«
Mit einem Schulterzucken schritt sie aus der Praxis, hochmütig und elegant wie immer, mit ihrer großen Sonnenbrille und ihren bemalten Lippen, und probte schon einmal das Lächeln, das Rita überzeugen sollte, dass sie von einer Routineuntersuchung bei ihrer Gynäkologin kam.
Sie hatten noch zwei Tage. Das war Zeit genug, ihr die Wahrheit zu sagen.
»Na?«, fragt Rita, als Candela sich ihr gegenüber auf den Stuhl fallen lässt. »Wechseljahre?«
Candela bestellt ein Zitronensorbett und lächelt, ohne sich dazu zwingen zu müssen. Rita zu sehen, die Tatsache, dass sie auf sie gewartet hat und sie eine ganze Nacht vor sich haben, hebt ihre Laune.
»Ich war schon immer sehr geschwind, meine Liebe. Die habe ich längst hinter mir.«
»Geschwind! Wie gewählt du dich ausdrückst.«
»Wie man es uns beigebracht hat. In meinem Elternhaus wurde dieses Wort viel benutzt.«
»Was ist aus deinem Elternhaus geworden?«
»Ich habe es verkauft.«
Rita schaut sie überrascht an.
»Dieses Schmuckstück in der Calle Nueva?«
»Ich habe eine Menge Geld dafür bekommen, die Wohnung in Alicante gekauft und noch ein bisschen zum Anlegen übrig gehabt.«
»Und deine Wurzeln?«
»Wurzeln? Larifari! Von Wurzeln redet nur ihr, die ihr euch in der Weltgeschichte herumtreibt, weil euch die Vorstellung gefällt, dass die Vergangenheit still dort sitzen bleibt, wo sie ist, damit ihr sie einmal im Jahr für eine Woche besuchen könnt. Wenn man an dem Ort bleibt, wo man geboren ist, sehnt man sich nach Veränderung, Modernisierung, Parkplätzen und will sich nicht andauernd damit beschäftigen, das alte Zeug zu flicken.«
»Dieses Haus war ein Traum, Candela. Du hättest etwas Fantastisches daraus machen können.«
»Wozu? Für mich und wen sonst? Ich habe keine Kinder, über meine Zukunft bestimme ich allein.« Um ein Haar hätte sie gesagt, dass sie nicht einmal mehr eine Zukunft hatte, biss sich jedoch rechtzeitig auf die Zunge. »Ich ziehe eine Wohnung mit Terrasse und Fahrstuhl vor, zehn Minuten von meiner Kanzlei. Solange meine Mutter und meine Tanten noch lebten, bin ich gern hingegangen, aber nachdem sie alle gestorben waren, bin ich eines Tages durch das Riesenhaus gewandert, das allmählich verfiel, und da hat es mir so leid getan, dass ich beschlossen habe, es zu verkaufen. Ich habe es nicht bereut.«
»Ich dagegen werde meiner Tante nie verzeihen, dass sie El Campo verkauft hat, den Garten meiner Kindheit. Aber ihr zweiter Mann, Joaquín Alba, ich weiß nicht, ob du den kennst, hat ihr so lange zugesetzt, bis sie sich endlich hat breitschlagen lassen.«
»Joaquín Alba? Der Cousin von Manolo Cortés?«
Rita ist baff.
»Das wusste ich gar nicht. Jedenfalls hat Manolo es wohl gekauft.«
»Weil er dich nicht kriegen konnte, hat er sich das unter den Nagel gerissen, woran du am meisten hängst. Drecksack! Was wirst du tun? Willst du es ihm abkaufen?«
Rita zündet sich eine Zigarette an und erzählt Candela, wie sich Manolo in dem alten cuartelillo aufgeführt hat, und von seinem Angebot, ihr das Landhaus zu einem guten Preis zu verkaufen, wenn sie sich im Gegenzug auf das einlässt, was er ihr »ausstehendes Abiturfach« nennt.
»Und was hast du gesagt?«
»Dass ich lesbisch bin.«
Candela lacht, bis ihr die Tränen kommen.
»Gut, Margarita, sehr gut!« Sie greift über den Tisch nach ihrer Hand. »Weißt du, was ich jetzt gern tun würde?«
»Bestimmt was Verrücktes.«
Candela senkt die Stimme.
»Am liebsten würde ich jetzt mit dir in die Wohnung deiner Tante Dora gehen und die Zeit bis zum Abendessen in ihrem Bett verbringen.«
Rita kichert wie ein Schulmädchen und spürt, wie die Erregung in ihr aufsteigt, als sie sich die Gesichter ihrer beiden Familien vorstellt.
»Kein Problem. Ich habe den Schlüssel«, sagt sie verschwörerisch, als wären sie noch immer siebzehn Jahre alt und hätten tatsächlich vor, sich in Tante Doras Abwesenheit in ihre Wohnung zu schleichen.
Sie legen einen Geldschein auf den Cafétisch, fassen sich bei den Händen und machen sich lachend auf den Weg.
1974
Es ist der letzte Abend auf Mallorca. Der achtundzwanzigste
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