Töchter des Windes: Roman (German Edition)
war. Es heißt, vor Freude und Angst hätten sie geweint, während der Wind flüsternd über die Steine strich und der alte Kreis sie schützend barg. Und dann liebten sie sich ein letztes Mal. Er verließe sie nur, sagte er ihr, um sein Pferd zu holen und die wenigen anderen Dinge, die er besaß, und dann käme er zu ihr zurück, denn sie wollten noch in derselben Nacht fliehen.«
Brianna stieß einen leisen, träumerischen Seufzer aus. »Also ließ er sie in dem Steinkreis zurück. Aber als er seinen Hof erreichte, warteten dort bereits die Männer des englischen Großgrundbesitzers auf ihn. Sie stachen ihn nieder, so daß sein Blut die Erde befleckte, und brannten sein Haus und seine Ernte ab. Sein einziger Gedanke, während er starb, galt der Liebsten, die ihn sehnsüchtig erwartete.«
Brianna verriet, daß sie eine geborene Geschichtenerzählerin war, indem sie genau an dieser Stelle innehielt. Die Harfenspielerin
in der Ecke zupfte die Melodie einer Ballade von Liebe und Leid. »Und so saß sie inmitten der Steine und wartete. Und während sie wartete, wurde ihr so kalt, daß sie zu zittern begann. Über die Felder hinweg drang die Stimme ihres Geliebten an ihr Ohr, und die Luft schien von Tränen erfüllt. Sie wußte, er war tot, und in diesem Bewußtsein schloß sie die Augen, legte sich auf den Boden und folgte ihm. Als man sie am nächsten Morgen fand, lächelte sie. Aber sie war kalt, eiskalt, und ihr Herz hatte zu schlagen aufgehört. Noch heute gibt es Nächte, in denen man zwischen den Steinen die geflüsterten Versprechen der beiden hört und in denen man im Gras ihre Tränen schimmern sieht.«
Seufzend lehnte sich Gray zurück und nippte an seinem Wein. »Sie sind eine talentierte Geschichtenerzählerin, Brianna.«
»Ich habe nur wiedergegeben, was mir erzählt worden ist. Wissen Sie, die Liebe ist einfach stärker als alle Furcht, aller Kummer, ja selbst der Tod.«
»Haben Sie ihr Flüstern schon einmal gehört?«
»Natürlich. Dabei habe ich um die beiden geweint. Und gleichzeitig beneide ich sie.« Sie lehnte sich zurück und schüttelte ihre eigenartig melancholische Stimmung ab. »Und welche Geister kennen Sie?«
»Nun, ich werde Ihnen ebenfalls eine Geschichte erzählen. In den Hügeln nicht weit vom Feld von Culloden entfernt, wütete ein einarmiger Highlander herum ...«
Sie lächelte. »Ist das eine wahre Geschichte, Grayson, oder denken Sie sich da etwas aus?«
Er nahm ihre Hand und küßte sie. »Das entscheiden Sie vielleicht lieber selbst.«
5. Kapitel
N ie zuvor hatte Brianna einen derart schönen Abend verbracht. Sämtliche Elemente vereinigten sich zu einer wunderbaren Erinnerung – an den prachtvollen Mann, den jedes ihrer Worte zu faszinieren schien, an die romantische Umgebung, ohne daß es mittelalterliche Ungemach in Kauf zu nehmen galt, an das köstliche französische Essen, den lieblichen Wein.
Wie sie sich jemals dafür revanchieren sollte – vor allem für die Karte, die Gray dem Oberkellner unter Einsatz all seines Charmes entlockt hatte –, wußte sie nicht.
Also tat sie es auf die einzige Art, die ihr möglich erschien, indem sie ihm ein ganz besonderes Frühstück zauberte.
Als Maggie die Küche betrat, war die Luft von köstlichen Düften erfüllt, und Brianna stand fröhlich singend am Herd.
»Nun, wie ich sehe, bist du heute morgen bestens gelaunt.«
»Allerdings.« Brianna wendete eine dicke Scheibe würzigen Toast in der Pfanne. »Möchtest du vielleicht mit frühstücken, Maggie? Es ist mehr als genug da.«
»Ich habe schon gegessen.« Maggies Stimme verriet, daß sie diese Tatsache ehrlich bedauerte. »Ist Gray im Haus?«
»Er ist noch nicht runtergekommen. Normalerweise schnüffelt er um diese Zeit bereits in all meinen Töpfen herum.«
»Dann sind wir also einen Augenblick allein.«
»Ja.« Briannas Fröhlichkeit legte sich. Vorsichtig legte sie die letzte Scheibe Brot auf eine Platte und schob diese in den Ofen, um sie warm zu halten. »Du bist gekommen, um mit mir über die Briefe zu sprechen, stimmt’s?«
»Schließlich habe ich dich lange genug auf die Folter gespannt. Es tut mir leid.«
»Wir haben wohl beide Zeit zum Nachdenken gebraucht.« Brianna faltete die Hände vor der Schürze und sah ihre Schwester an. »Was willst du also tun, Maggie?«
»Nichts. Das heißt, ich will so tun, als hätte ich die Briefe nie gelesen, als gäbe es sie nicht.«
»Maggie ...«
»Laß mich ausreden«, schnauzte sie, sprang von ihrem Stuhl
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