Töchter des Windes: Roman (German Edition)
Über den Rand ihrer Tasse hinweg lächelte sie ihn an. »Wenn es so ist, weiß ich auch nicht, warum. Aber vielleicht liegt es einfach daran, daß wir über Jahrhunderte hinweg gezwungen waren, uns jeden Zentimeter Boden zu erkämpfen. Oder . . .«
»Da hast du sie vielleicht auf ein Thema gebracht«, seufzte Rogan. »Im Grunde ihres Herzens ist sie nämlich eine unverbesserliche Rebellin.«
»Jeder Ire, ob Mann oder Frau, ist im Grunde seines Herzens ein Rebell. Murphy hat eine wirklich schöne Stimme, findet ihr nicht? Brie, warum singst du nicht auch ein Lied für uns?«
Brianna trank gut gelaunt von ihrem Bier. »Ich höre lieber zu.«
»Ich würde dich gern einmal singen hören«, murmelte Gray und strich ihr sanft übers Haar, worauf Maggie ihn mit zusammengekniffenen Augen musterte.
»Brie hat eine glockenreine Stimme«, sagte sie. »Wir haben uns immer gefragt, woher sie die wohl hat, bis wir herausfanden, daß unsere Mutter eine ebenso wunderbare Stimme hat.«
»Wie wär’s mit ›Danny Boy‹?«
Maggie rollte die Augen himmelwärts. »Das scheint das Lieblingslied sämtlicher Amis zu sein. Dabei hat ein Tommy, ein Ausländer, die Melodie verfaßt. Spiel ›James Connolly‹, Murphy. Und Brie singt dazu.«
Mit einem resignierten Kopfschütteln ging Brianna zu Murphy hinüber und setzte sich neben ihn.
»Die beiden zusammen sind einfach wunderbar«, murmelte Maggie mit einem Seitenblick auf Gray.
»Mmm. Manchmal singt sie bei der Hausarbeit, wenn sie vergißt, daß sie nicht alleine ist.«
»Und wie lange wird sie nicht alleine sein?« fragte Maggie und ignorierte, daß Rogan warnend die Stirn zu runzeln begann.
»Bis ich fertig bin«, sagte Gray spontan.
»Weil du dann weiterziehen wirst?«
»Weil ich dann weiterziehen werde. Ganz genau.«
Obgleich Rogan inzwischen ihren Nacken regelrecht umklammert hielt, setzte Maggie zu irgendeinem markigen Kommentar an, ehe ihr der Blick in Grays Augen regelrecht die Sprache verschlug. Neben dem unleugbaren Verlangen — der ihren Beschützerinstinkt in bezug auf Brianna wachgerufen hatte — lag noch etwas anderes in seinem Blick, etwas, das ihr verriet, daß es um mehr als Hormone ging. Sie würde darüber nachdenken, ob ihr dieser Gedanke gefiel, beschloß Maggie und griff erneut nach ihrer Teetasse.
»Wir werden es ja sehen«, murmelte sie. »Wir werden es ja sehen.«
Aus einem Lied wurden zwei, aus zweien drei, aus dreien vier. Lieder vom Krieg, Lieder von der Liebe, verschmitzt oder traurig, wechselten einander ab, und während Gray ihnen lauschte, malte er sich in Gedanken bereits eine weitere Szene für seinen neuesten Krimi aus.
Der rauchige, von Lärm und Musik erfüllte Pub als Zufluchtsstätte vor dem Grauen, das es draußen gab. Die Stimme der Frau, von der der Mann gegen seinen Willen angezogen war. Hier, dachte er, hier war der Ort, an dem sein Held den Kampf verlöre. Sie säße mit sittsam gefalteten Händen vor dem Kamin, sänge mit lieblicher Stimme mühelos ein Lied, und ihr Blick wäre ebenso sehnsüchtig wie die Melodie.
Und er würde sich in sie verlieben, so sehr, daß er sein Leben für sie gäbe, sollte es erforderlich sein. Auf jeden Fall erführe sein Leben durch sie eine Veränderung. Mit ihr könnte
er die Vergangenheit vergessen und einer glücklicheren Zukunft entgegensehen.
»Du siehst blaß aus, Gray.« Maggie zog ihn am Ärmel auf einen Hocker hinab. »Kann es sein, daß du etwas zuviel getrunken hast?«
»Wohl kaum. Immerhin ist dies mein erstes Bier.« Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, als wäre er soeben aus einem Traum erwacht. »Ich habe lediglich . . .gearbeitet«, beendete er den Satz. Natürlich, das war’s. Er hatte an die Gestalten in seinem Buch gedacht, weiter an der Lüge des Romans gefeilt. Seine Überlegungen hatten nichts Persönliches gehabt.
»Du hast ausgesehen, als wärst du in Trance.«
»Das ist das Gleiche.« Er atmete vorsichtig aus, ehe er über sich selbst zu lachen begann. »Ich glaube, jetzt trinke ich doch noch ein zweites Bier.«
10. Kapitel
G ray verbrachte eine alles andere als friedliche Nacht, denn die von ihm entwickelte Pubszene ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Doch obgleich er sie wieder und wieder vor sich sah, brachte er sie einfach nicht vernünftig zu Papier.
Bereits der Gedanke an eine Schreibblockade war ihm verhaßt, und normalerweise überwand er sie, indem er einfach weiterarbeitete, bis die drohende Gefahr vorübergezogen war. Wie eine schwarze Wolke,
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