Töchter des Windes: Roman (German Edition)
ihren Traum von der Karriere zu begraben und den Mann zu heiraten, der der Vater ihres Kindes war. Nach ihrer Heirat war sie nie wieder glücklich, und um ihren Mann glücklich zu machen, hatte sie nicht genug Mitgefühl. Bald nach der Geburt des ersten Kindes empfing sie ein zweites Mal. Dieses Mal allerdings nicht aus heißer Leidenschaft heraus, sondern aus kaltem Pflichtgefühl. Und da sie meinte, nun hätte sie ihre Pflicht erfüllt, verweigerte sie fortan ihrem Mann die Freuden des Ehebetts und die Freuden an ihrem Leib.«
Sie stieß einen Seufzer aus, und Gray nahm wortlos ihre Hand.
»Eines Tages, in der Nähe des Flusses Shannon, traf er eine andere Frau, mit der ihn Liebe, tiefe, dauerhafte Liebe verband. Wie groß auch immer die Sünde ihrer Beziehung war,
die Liebe war größer. Aber da waren seine Frau und die zwei kleinen Töchter, und sowohl er als auch die Frau, die ihn liebte, wußten, daß es für sie beide keine Zukunft gab. Also verließ sie ihn und ging zurück nach Amerika. Sie schrieb ihm drei Briefe, wunderbare Briefe, voll der Liebe und voll des Verständnisses für ihn. Und im dritten Brief schrieb sie, daß sie sein Kind unter dem Herzen trug. Sie ginge fort, sagte sie, und er sollte sich keine Sorgen machen, denn sie sei glücklich, weil nun ein Teil von ihm in ihr wuchs.«
Als sie den Ruf der Seemöwen vernahm, blickte sie auf und beobachtete, wie der Vogel zum Horizont segelte, ehe sie weitersprach.
»Sie schrieb ihm nie wieder, aber trotzdem vergaß er sie nie. Vielleicht hat ihn die Erinnerung getröstet während all der leeren Jahre, während derer er in seiner aus Pflichtbewußtsein eingegangenen Ehe gefangen war. Ich denke, daß es so war, denn er hatte ihren Namen auf den Lippen, als er starb. Er sagte: ›Amanda‹ und blickte aufs Meer hinaus. Und eine Ewigkeit, nachdem diese Briefe geschrieben worden waren, fand eine seiner Töchter sie, auf dem Dachboden verstaut, zusammengehalten von einem verblichenen roten Band.«
Sie richtete ihren Blick auf Gray. »Es gibt nichts, was sie tun könnte, um die Uhr zurückzudrehen, um auch nur eins dieser Leben besser zu machen, als es war. Aber hat eine derart geliebte Frau es nicht verdient zu erfahren, daß sie nie vergessen worden ist? Und hat das Kind dieser Frau — und dieses Mannes — nicht das Recht zu erfahren, wer seine Verwandten sind?«
»Vielleicht schmerzt es nur noch mehr, wenn ihr sie ausfindig macht.« Er blickte auf ihre verschränkten Hände hinab. »Die Vergangenheit weist oft viele gemeine Falltüren auf. Zwischen dir und Amandas Kind gibt es nur ein dünnes Band, Brianna. Und täglich werden stärkere Bande gelöst.«
»Mein Vater hat sie geliebt«, war ihre schlichte Erwiderung.
»Das Kind, das sie geboren hat, ist mit uns verwandt. Und schließlich versuchen wir ja nur, sie zu finden, mehr nicht.«
»So, wie ich dich kenne, glaube ich kaum, daß es dabei bleiben wird«, murmelte er und sah sie forschend an. Ihr Gesicht verriet Stärke, vermischt mit abgrundtiefer Traurigkeit. »Laß mich dir helfen.«
»Wie?«
»Ich kenne eine Menge Leute. Und wenn man jemanden finden will, braucht man vernünftige Recherchen, jede Menge Telefonnummern und Beziehungen.«
»Rogan hat einen New Yorker Detektiv beauftragt.«
»Das ist ein guter Anfang. Aber wenn er nicht bald mit irgendwas aufwarten kann, läßt du es mich versuchen, ja?« Er zog warnend eine Braue hoch. »Und sag ja nicht, das ist nett von mir.«
»Also gut, ich sage es nicht, obwohl es das ist.« Sie hob ihrer beider Hände an ihr Gesicht. »Ich war wütend auf dich, weil du mich gedrängt hast, es dir zu erzählen. Aber es hat geholfen.« Sie legte den Kopf auf die Seite und sah ihn an. »Und du wußtest, daß es das tun würde, stimmt’s?«
»Ich bin nun mal von Geburt an ein neugieriger Kerl.«
»Das bist du. Aber trotzdem wußtest du, daß es mir helfen würde, mich jemandem anzuvertrauen.«
»Weil das normalerweise immer so ist.« Er stand auf und zog sie neben sich. »Es ist Zeit, nach Hause zu fahren. Ich habe das Gefühl, daß ich jetzt wieder arbeiten kann.«
11. Kapitel
D ie Geschichte hatte Gray derart im Griff, daß er tagelang wie gefesselt an seinem Schreibtisch saß. Nur aus Neugier drehte er hin und wieder den Schlüssel im Schloß seiner Zimmertür herum, wenn Gäste eintrafen oder der Augenblick ihrer Abreise gekommen war.
Er hatte die Pension wochenlang ganz oder zumindest beinahe ganz für sich allein gehabt und gedacht, der
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