Töchter des Windes: Roman (German Edition)
sondern wer?« Er fuhr dichter an den Straßenrand, als ein voll beladener VW-Bus auf seiner Straßenseite um die Kurve kam. Wahrscheinlich ein unerfahrener Ami, dachte er mit einer gewissen Selbstgefälligkeit. »Wer ist Rory?« wiederholte er.
»Hat man dir im Pub irgendwelche Klatschgeschichten erzählt?«
Statt daß sie ihm eine Warnung wäre, trieb ihn die Kälte in ihrer Stimme nur zu weiterem Sprechen an. »Sicher, aber dort habe ich den Namen nicht gehört. Du hast ihn vorhin in der Galerie Maggie gegenüber erwähnt.«
»Dann hast du also unser Privatgespräch belauscht.«
»Das wäre doppelt gemoppelt. Schließlich lauscht man ja wohl nur dann, wenn man unerlaubt ein Privatgespräch mithört, sonst nicht.«
Sie richtete sich kerzengerade auf. »Es besteht keine Veranlassung, meine Grammatik zu verbessern, vielen Dank.«
»Ich habe nicht deine Grammatik verbessert, sondern . . . ach, egal.« Er unterbrach sich und ließ sie einen Augenblick schmoren, ehe er abermals fragte: »Also, wer ist er?«
»Und was, bitte, geht dich das an?«
»Mit dieser Antwort machst du mich nur noch neugieriger.«
»Ein Junge, den ich kannte. Ich denke, daß du auf dem Holzweg bist.«
»In meinen Führern steht, daß es in Irland keine Holzwege gibt. Ist er derjenige, der dir so weh getan hat?« Er sah sie kurz an, und dann nickte er. »Nun, das wäre geklärt. Was ist passiert?«
»Willst du diese Sache wieder in eins deiner Bücher einbauen?«
»Vielleicht. Aber in erster Linie frage ich aus rein persönlichem Interesse. Hast du ihn geliebt?«
»Ich habe ihn geliebt. Ich wollte ihn heiraten.«
Er merkte, daß er bei dieser Aussage die Stirn runzelte und mit den Fingern auf dem Lenkrad herumtrommelte. »Und warum hast du es nicht getan?«
»Weil er mich kurz vorher hat sitzenlassen. Und, ist deine Neugier befriedigt?«
»Nein. Diese Erklärung zeigt mir lediglich, daß Rory ganz offensichtlich ein Idiot gewesen ist.« Die nächste Frage hätte er ihr am liebsten nicht gestellt. »Liebst du ihn immer noch?«
»Dann wäre ich der Idiot, denn schließlich ist das Ganze inzwischen zehn Jahre her.«
»Aber es tut immer noch weh.«
»Abgelegt zu werden wie ein altes Kleidungsstück tut nun einmal weh«, sagte sie in angespanntem Ton. »Und von allen bemitleidet zu werden tut ebenfalls weh. Die arme Brie, die gute, arme Brie, sitzt zwei Wochen vor ihrer Hochzeit mit einem Hochzeitskleid und einer traurigen, kleinen Aussteuer
alleine da, während sich der Bräutigam nach Amerika verdrückt. Reicht dir das?« Sie starrte ihn zornig an. »Willst du auch noch wissen, ob ich geweint habe? Habe ich. Und ob ich darauf gewartet habe, daß er es sich noch einmal anders überlegt? Habe ich ebenfalls.«
»Du darfst mich ruhig schlagen, wenn du dich dann besser fühlst.«
»Wohl kaum.«
»Warum ist er weggegangen?«
Sie seufzte, sowohl aus Verärgerung als auch in der Erinnerung an die traurige Vergangenheit. »Ich weiß es nicht. Er hat mir nie den Grund genannt. Und das war das Schlimmste daran. Er kam und sagte, er wolle mich nicht mehr, er nähme mich nicht zur Frau, und das, was ich getan hätte, verziehe er mir nie. Als ich ihn fragte, was er damit meinte, stieß er mich zu Boden und ging wortlos davon.«
Gray umklammerte das Lenkrad so fest, daß das Weiß seiner Knöchel zu sehen war. »Er tat was?«
»Er stieß mich zu Boden und ging davon«, wiederholte sie in ruhigem Ton. »Und mein Stolz ließ es nicht zu, daß ich ihm nachlief. Kurze Zeit später fuhr er nach Amerika.«
»Dieses Schwein.«
»Das habe ich selbst auch oft gedacht, aber ich weiß einfach nicht, warum er gegangen ist. Also gab ich nach einer Weile mein Hochzeitskleid Murphys Schwester Kate, die es bei der Hochzeit mit ihrem Patrick trug.«
»Er ist die Traurigkeit in deinem Blick nicht wert.«
»Er vielleicht nicht. Aber der verlorene Traum schon. Was machst du da?«
»Ich halte an. Laß uns zu den Klippen gehen.«
»Für einen Spaziergang bin ich nicht passend angezogen«, protestierte sie, obgleich er bereits halb ausgestiegen war. »Ich habe die falschen Schuhe an, Gray. Ich kann hier warten, falls du dich ein bißchen umsehen willst.«
»Ich will mich aber mit dir zusammen umsehen.« Er zog sie aus dem Wagen und nahm sie schwungvoll auf die Arme.
»Was machst du denn? Bist du verrückt geworden?«
»Es ist nicht weit, und denk nur, was für hübsche Bilder von uns diese netten Touristen da drüben mit nach Hause nehmen können.
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