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Tödliche Absicht

Tödliche Absicht

Titel: Tödliche Absicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Child
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beides, okay? Alles Gute zum Geburtstag, Jack. Das hatte er mit dem Füller des Antiquars geschrieben, und die Tinte war an einigen Stellen verwischt. Der Buchhändler hatte ihm angeboten, das Buch zu verschicken. Damals hatte die Adresse Pentagon gelautet, weil Joe noch beim Militärischen Nachrichtendienst beschäftigt war. Das hatte den Mann schwer beeindruckt. The Pentagon, Arlington, Virginia, USA.
    Er überblätterte die Titelseite und las die ersten Zeilen des Romans: Anfang Juli, an einem außergewöhnlich heißen Tage, verließ ein junger Mann gegen Abend seine Dachstube, die er in einem Hause der S.schen Querstraße als Untermieter bewohnte … Als er dann auf der Suche nach der Schilderung des Mordes weiterblätterte, fiel ein zusammengefaltetes Blatt Papier heraus. Es hatte als Lesezeichen gedient, vermutete er, ungefähr in der Mitte, wo Raskolnikow sich mit Swidrigailoff streitet.
    Er faltete das Blatt auseinander. Schreibpapier aus Armeebeständen. Das erkannte er an Tönung und Struktur. Mattes Elfenbeinweiß, glatte Oberfläche. Auf dem Blatt stand ein angefangener Brief in Joes ordentlicher Schrift. Etwa sechs Wochen nach seinem Geburtstag geschrieben. Der Text lautete: Lieber Jack, danke für das Buch. Es ist schließlich doch angekommen. Ich werde es immer in Ehren halten. Vielleicht lese ich es sogar. Aber wahrscheinlich nicht allzu bald, denn hier geht’s ziemlich hektisch zu. Ich spiele mit dem Gedanken, fahnenflüchtig zu werden und zum Finanzministerium zu gehen. Jemand (du würdest den Namen kennen) hat mir einen Job angeboten, und
    Das war alles. Ungefähr in der Mitte der Seite endete der Brief abrupt. Er legte ihn neben die Schuhe und stellte dann alle drei Bücher in den Karton zurück. Er betrachtete die Schuhe und den Brief und horchte angestrengt in sich hinein. Aber er hörte nichts. Überhaupt nichts. Deshalb faltete er den Brief zusammen und verstaute ihn zusammen mit den Schuhen wieder im Karton. Klappte die Deckelteile zu und stellte den Karton auf den Abfallkorb. Draußen klopfte es erneut an der Tür.
    Es war Froelich. Sie trug ihren Hosenanzug. Keine Bluse, wahrscheinlich gar nichts unter dem Jackett. Er vermutete, dass sie sich wegen des Marshals auf dem Korridor rasch angezogen hatte.
    »Du bist noch auf«, sagte sie.
    »Komm rein.«
    Sie trat ins Zimmer und wartete, bis er die Tür geschlossen hatte.
    »Ich bin nicht wütend auf dich«, erklärte sie. »Du hast keine Schuld an Joes Tod. Das glaube ich nicht wirklich. Und ich bin nicht wütend auf Joe, weil er ermordet worden ist. Das ist einfach so passiert.«
    »Du bist auf jemanden wütend«, beharrte er.
    »Ich bin wütend auf ihn, weil er mich verlassen hat«, sagte sie.
    Er setzte sich wieder aufs Bett. Diesmal nahm sie neben ihm Platz.
    »Ich bin über ihn hinweg«, sagte sie. »Völlig. Ich schwör’s dir. Schon lange. Aber ich bin nicht darüber hinweg, dass er einfach abgehauen ist.«
    Reacher schwieg.
    »Und deshalb bin ich zornig auf mich selbst «, fuhr sie leise fort. »Weil ich ihm Unglück gewünscht habe. Tief in meinem Innersten. Ich hab ihm gewünscht, er soll abstürzen und anschließend verbrennen. Und dann ist es so passiert. Deshalb fühle ich mich schrecklich schuldig. Und jetzt habe ich Angst, dass du mich verurteilst.«
    Reacher zögerte einen Moment.
    »Da gibt’s nichts zu verurteilen«, sagte er. »Es gibt auch keinen Grund für Schuldgefühle. Was du dir gewünscht hast, war verständlich und hatte keinen Einfluss auf das, was geschehen ist. Wie denn auch?«
    Sie schwieg.
    »Er hat sich überschätzt«, sagte Reacher. »Das ist alles. Er hat etwas riskiert und Pech gehabt. Das war weder deine noch meine Schuld. Es ist einfach so passiert.«
    »Dinge passieren aus bestimmten Gründen.«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein, das tun sie nicht«, sagte er. »Sie passieren einfach. Das war nicht deine Schuld. Du kannst nichts dafür.«
    »Glaubst du?«
    »Du kannst nichts dafür«, wiederholte er. »Niemand kann etwas dafür. Außer dem Kerl, der den Abzug betätigt hat.«
    »Ich hab ihm Unglück gewünscht«, sagte sie. »Das musst du mir verzeihen.«
    »Da gibt’s nichts zu verzeihen.«
    »Du musst die Wörter aussprechen.«
    »Das kann ich nicht«, entgegnete Reacher. »Und ich tu’s nicht. Da muss nichts verziehen werden. Das war nicht deine Schuld. Oder meine. Oder Joes. Es ist einfach passiert. Wie Dinge eben passieren.«
    Sie schwieg eine Weile. Dann nickte sie und rückte ein bisschen

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