Tödliche Absicht
Blick hinein. Hielt den Umschlag so, dass Neagley seinen Inhalt erkennen konnte.
Er enthielt lediglich einen Baseballschläger im Miniaturformat, wie sie als Andenken verkauft oder zu Werbezwecken verschenkt wurden. Er war aus honigfarbenem Holz gedrechselt, unbeschriftet und mit Klarlack überzogen. Bei einem Durchmesser von zweieinhalb Zentimetern wäre er ungefähr fünfunddreißig Zentimeter lang gewesen, doch jemand hatte ihn in Griffnähe abgebrochen. Das Holz war an einer Stelle angesägt und durchgebrochen worden. Das Bruchende sah zerkratzt und zersplittert aus, wahrscheinlich um den Eindruck zu erwecken, der Schläger sei versehentlich zerbrochen.
»Ich leide nicht unter Jähzorn«, sagte Armstrong. »Aber Sie haben Recht, mein Vater hat daran gelitten. Wir haben in einer Kleinstadt in Oregon gewohnt, irgendwie einsam und isoliert. Ein Nest, das von der Holzindustrie gelebt hat. Dort gab’s gravierende soziale Unterschiede. Die Sägewerksbesitzer besaßen große Häuser, die Vorarbeiter kleinere, die Arbeiter lebten in Hütten oder Pensionen. Es gab nur eine Schule. Meiner Mutter gehörte die einzige Apotheke. Die Straße hinunter lag der Rest des Staats, die Straße hinauf gab’s unberührte Wälder. Wir sind uns wie im Grenzland vorgekommen. Man nahm’s nicht so genau mit dem Gesetz, aber das war nicht so schlimm. Manchmal kamen ein paar Nutten durch die Stadt, und in den Kneipen wurde viel getrunken, aber insgesamt hat man sich bemüht, eine ganz normale amerikanische Kleinstadt zu sein.«
Er schwieg eine Weile, legte seine Hände flach auf den Schreibtisch und starrte sie an.
»Ich war damals achtzehn«, fuhr er fort. »Mit der High School fertig, am College eingeschrieben, in den letzten Ferienwochen zu Hause. Meine Schwester war irgendwohin verreist. Bei uns am Tor hing ein Briefkasten. Mein Vater hatte ihn selbst gebaut – in Form eines kleinen Sägewerks. Eine hübsche Arbeit aus winzigen Zedernholzstreifen. Im Jahr zuvor war er zu Halloween zertrümmert worden, Sie wissen schon, dieser üble Halloween-Brauch, wenn gewaltbereite Jugendliche mit Baseballschlägern unterwegs sind und auf Briefkästen dreschen. Mein Vater hatte das Splittern gehört und die Jungen verfolgt, sie aber nicht erwischt. Wir waren alle sauer, weil der Briefkasten hübsch gewesen war und seine Zerstörung uns sinnlos erschien. Aber er baute einen neuen, stabileren und bestand darauf, ihn zu bewachen. In manchen Nächten hat er sich draußen versteckt und gewartet.«
»Und die Jugendlichen sind zurückgekommen«, sagte Neagley.
Armstrong nickte. »Im Spätsommer dieses Jahres«, sagte er. »Zwei Jugendliche, in einem Pick-up, mit einem Baseballschläger. Zwei große, kräftige Jungen. Ich kannte sie nur vom Sehen. Sie waren Brüder, glaube ich. Wirklich brutale Kerle, wissen Sie, Kriminelle, Rowdys von außerhalb der Stadt, von denen man sich lieber fern hielt. Als sie auf den Briefkasten einschlugen, sprang mein Vater aus seinem Versteck. Es kam zu einer Auseinandersetzung. Sie verspotteten ihn, bedrohten ihn, sagten schlimme Dinge über meine Mutter. Forderten ihn höhnisch auf: Bring sie raus, dann besorgen wir’s ihr mit diesem Schläger – viel besser, als du’s kannst. Sie können sich vorstellen, von welchen Gesten diese Aufforderung begleitet wurde. Das Ganze artete in eine Schlägerei aus, bei der mein Vater unverschämtes Glück hatte. Zwei Boxhiebe, zwei Volltreffer, und schon war er Sieger. Vielleicht lag’s ja auch an seiner Militärausbildung. Der Schläger war zerbrochen. Ich dachte, damit sei die Sache erledigt, aber er hat die Jugendlichen auf unser Grundstück gezerrt, aus dem Sägewerk Ketten und Vorhängeschlösser geholt und sie damit an einen Baum gekettet. Sie mussten sich so hinknien, dass sie den Baumstamm zwischen sich hatten. Mein Vater ist völlig ausgerastet. In seinem Zorn hat er nur noch rot gesehen. Er hat mit dem kaputten Baseballschläger auf die beiden eingeprügelt. Ich hab versucht, ihn daran zu hindern, aber das war unmöglich. Dann hat er gesagt, er werde es ihnen mit dem Schläger besorgen, mit dem abgebrochenen Ende, wenn sie ihn nicht darum bitten würden, es nicht zu tun. Also haben sie gebettelt. Lange und laut.«
Er schwieg.
»Ich war die ganze Zeit dabei«, begann er wieder. »Ich hab nur versucht, meinen Vater zu beruhigen, das war alles. Aber diese Kerle haben mich angestarrt, als sei ich daran beteiligt. Als sei ich Zeuge ihrer schlimmsten Niederlage, sähe sie
Weitere Kostenlose Bücher