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Tödliche Absicht

Tödliche Absicht

Titel: Tödliche Absicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Child
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völlig gedemütigt. Was vermutlich das Schlimmste ist, was einem Rowdy passieren kann. Aus ihren Blicken hat absoluter Hass gesprochen. Gegen mich . Als wollten sie sagen: Weil du das gesehen hast, musst du jetzt sterben. So schlimm war’s tatsächlich.«
    »Was ist dann passiert?«, fragte Neagley.
    »Mein Vater hat sie angekettet gelassen und ihnen gesagt, sie müssten die ganze Nacht so verbringen, und am Morgen würde er sie sich noch mal vornehmen. Wir sind ins Haus, und er ist schlafen gegangen. Ich habe mich eine Stunde später wieder hinausgeschlichen und wollte sie laufen lassen. Aber sie waren schon fort, hatten sich irgendwie befreit. Sie sind nie zurückgekommen, und ich habe sie nie mehr gesehen. Nachdem ich mein Studium aufgenommen hatte, bin ich eigentlich – außer in den Semesterferien – nie wieder richtig zu Hause gewesen.«
    »Und dann ist Ihr Vater gestorben.«
    Armstrong nickte. »Er hat an starkem Bluthochdruck gelitten, was bei seiner Psyche nur verständlich war. Die Sache mit den beiden Jungen habe ich im Lauf der Zeit verdrängt. Sie war nur eine Episode aus der Vergangenheit. Aber ich habe sie nicht wirklich vergessen . Der Ausdruck in ihren Augen blieb mir im Gedächtnis haften. Ich sehe ihn noch jetzt vor mir. Eiskalter Hass. Als seien sie zwei Kriminelle, die es nicht ertragen konnten, anders gesehen zu werden, als sie sich selbst sahen. Als beginge ich eine Todsünde, nur weil ich zufällig Augenzeuge ihrer Niederlage wurde. Als täte ich ihnen damit etwas an. Als sei ich ihr Feind. So haben sie mich angestarrt. Ich hab es aufgegeben, das verstehen zu wollen, schließlich bin ich kein Psychologe. Aber ihr Blick hat sich mir eingebrannt. Als diese Sendung ankam, musste ich keine Sekunde lang überlegen, von wem sie stammen könnte, obwohl das nun schon fast dreißig Jahre zurückliegt.«
    »Kennen Sie ihre Namen?«, fragte Reacher.
    Armstrong schüttelte den Kopf. »Außer dass sie irgendwo in der näheren Umgebung wohnten, wusste ich nichts über sie. Was haben Sie jetzt vor?«
    »Wissen Sie, was ich gern täte?«
    »Was?«
    »Ihnen beide Arme brechen und Sie nie wiedersehen. Hätten Sie am Wahltag den Mund aufgemacht, würde Froelich noch leben.«
    »Warum zum Teufel haben Sie’s nicht getan?«, fragte Neagley.
    Armstrong schüttelte den Kopf. In seinen Augen standen Tränen.
    »Weil ich nicht geahnt habe, dass die Sache ernst gemeint war«, sagte er. »Ehrlich nicht, das schwöre ich Ihnen beim Leben meiner Tochter. Können Sie das nicht verstehen? Ich dachte nur, das sollte mich an damals erinnern oder mich beunruhigen. Ich hab mich gefragt, ob sie etwa noch immer glaubten, ich sei damals im Unrecht gewesen, und ob dies eine Drohung sein sollte, mich politisch in Verlegenheit zu bringen oder irgendwie bloßzustellen oder sonst was. Aber das hat mir keine großen Sorgen gemacht, weil ich damals eben nicht im Unrecht gewesen war. Einen anderen Grund konnte ich für diese Zusendung nicht erkennen. Ich war dreißig Jahre älter – und sie natürlich auch. Ich bin ein vernünftig denkender Mensch, und dafür habe ich auch sie gehalten. Für mich stellte sich das Ganze nur als ein geschmackloser Scherz dar. Wie konnte ich ahnen, dass damit irgendeine Gefahr verbunden war? Also hat die Sache mich nur etwa eine Stunde beunruhigt, dann habe ich mich nicht weiter mit ihr beschäftigt. Möglicherweise gibt es irgendein halbherziges Nachfassen, dachte ich, aber damit wollte ich mich erst befassen, wenn es so weit war. Doch dazu ist es nicht gekommen. Nicht meines Wissens. Weil mich niemand informiert hat . Bis heute. Bis Sie mir davon erzählt haben. Und wenn’s nach Stuyvesant ginge, wüsste ich es noch immer nicht. Dabei hat es deswegen schon Tote gegeben. O Gott, warum hat er mich nicht von Anfang an darüber unterrichtet? Ich hätte ihm die ganze Geschichte erzählen können, wenn er mich nur gefragt hätte.«
    Niemand sprach.
    »Sie haben also Recht und zugleich auch Unrecht«, fuhr Armstrong fort. »Ich wusste, wer und warum, aber nicht die ganze Zeit über. Ich kannte den Anfang und das Ende. Als geschossen wurde, wusste ich sofort, was lief. Das war ein unglaublicher Schock, völlig aus heiterem Himmel. So sollte das Nachfassen also aussehen? Was für eine verrückte Eskalation. Ich kam mir vor wie jemand, der damit rechnet, eines Tages mit einer verfaulten Tomate beworfen zu werden, und stattdessen eine Atomrakete abbekommt. Plötzlich war die Welt aus den Fugen geraten. Wie

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