Tödliche Aktien
ich, daß dies die richtige Art und der richtige Ort sei, Richard zur letzten Ruhe zu betten.
Nach langen Mühen hatte ich endlich die Freigabe von Richards Leichnam erwirkt. Allerdings hatte der Staatsanwalt darauf hingewiesen, daß er eine Exhumierung anordnen müsse, falls ein künftiger Verteidiger auf einer erneuten Untersuchung des Leichnams bestehe. Der Gedanke an diese Möglichkeit war mir unangenehm, aber ich war froh, daß mein Bruder nun nicht mehr in der Leichenhalle lag.
Ich hatte das Begräbnis nicht an die große Glocke gehängt. Dennoch waren rund fünfzig Trauergäste erschienen. Die meisten kannte ich. David, Rachel, Willie, Susan und andere Mitarbeiter aus der Firma. Auch Jim Robertson war da und Sergeant Cochrane. Walter Sorenson hatte eine Reise nach England so gelegt, daß er anwesend sein konnte. Ich freute mich, daß auch Karen gekommen war; es half, sie an meiner Seite zu haben.
Doch meine ungeteilte Aufmerksamkeit galt jemand anderem. Während des Gottesdienstes versuchte ich, ihn zu vergessen, um mich auf die Andacht und Richard konzentrieren zu können. Hinterher gab es kein Entrinnen.
Es war mein Vater.
Betroffen nahm ich wahr, wie sehr er sich verändert hatte. Sein Haar war dünn und grau geworden, die Haltung leicht gebeugt, das Gesicht gefurcht. Erschöpft und blaß sah er aus.
An seinem Arm eine Frau Mitte Dreißig, zart und ebenso blaß wie er, obwohl sie dunkle Haare und Augen hatte. Irgendwie kam sie mir vertraut vor. Mit Erschrecken wurde mir klar, daß sie mich an die frühen Fotografien meiner Mutter erinnerte.
Ich wollte ihm aus dem Weg gehen. Nicht aus Groll, sondern weil ich meinem Temperament mißtraute und ein Streit an Richards offenem Grab das letzte war, was ich mir wünschte. Andererseits konnte ich ihn beim Begräbnis seines Sohnes nicht völlig schneiden. Also nahm ich Karen beim Arm und steuerte mit ihr auf ihn und seine Frau zu. Sie unterhielten sich mit Sorenson.
Sorenson sah uns kommen und ging uns ein paar Schritte entgegen. Ich machte ihn mit Karen bekannt.
»Wir sind uns schon begegnet«, sagte er. »Das letztemal auf einer Tagung von Harrison Brothers in Boca Raton. Erinnern Sie sich?«
»O ja«, sagte Karen. »Freut mich.«
»Und mich erst«, lächelte er sie an. »Nun, ich wollte heute nachmittag bei FairSystems reinschaun, Mark. Sind Sie da?«
»Ja«, sagte ich. »Bis dann.«
»Ich glaube, ich bleibe bei Sorenson«, meinte Karen taktvoll. »Sprich lieber allein mit deinem Vater.«
Ich nickte und trat zu ihm.
»Hallo, Dad.« Ich erwartete irgendeine nichtssagende Äußerung, einen Vorwurf, einen gezwungenen Austausch von Belanglosigkeiten.
Statt dessen erzitterte sein Kinn; er bedeckte sein Gesicht mit der Hand und begann zu schluchzen. Die Frau neben ihm warf mir einen raschen Blick zu, in dem eine Mischung aus Unsicherheit und Verlegenheit lag, löste sich vom Arm meines Vaters und ging zu Sorenson und Karen hinüber. Ein paar Minuten standen wir so, während die anderen Trauergäste aufbrachen.
Ich legte den Arm um ihn. Schließlich sammelte er sich und sagte: »Ich habe ihn geliebt. Beide habe ich euch geliebt.«
Ein Aufruhr widersprüchlicher Gefühle tobte in meinem Inneren – Trauer um Richard, Mitleid mit der Trauer meines Vaters, Schuldgefühle, daß ich mit ihm gebrochen hatte, Erinnerungen an jenes andere Begräbnis vor acht Jahren, und bei allem spürte ich immer noch die Wut.
»Laß uns in Richards Haus eine Tasse Tee trinken«, sagte ich.
Dad sah sich suchend nach seiner Frau um, die ein paar Schritte entfernt stand und ihn beobachtete. Sie nickte und lächelte schwach. Unauffällig wies sie auf das Tor des Kirchhofs. »In Ordnung«, sagte er, und wir gingen.
In der Küche war es warm und gemütlich. Ich setzte den Kessel auf. Dad sah zerbrechlich und müde aus, wie er so auf seinem Stuhl am Küchentisch saß. Nichts mehr von der Autorität, die er früher ausgestrahlt hatte. Wir hatten einander viel zu sagen, verspürten aber keinen Wunsch, es auszusprechen.
»Im letzten Jahr habe ich Richard ein paarmal besucht«, sagte mein Vater. Ich hob die Augenbrauen. Das hatte ich nicht gewußt. »Diese Region weist eine interessante Vogelwelt auf. Viele Zugvögel legen hier einen Zwischenhalt ein, und manchmal bekommt man ein paar sehr seltene Exemplare zu sehen. Einmal haben wir auf den Klippen im Osten sogar einen Bienenfresser entdeckt.« Er seufzte. »Er hat diesen Ort geliebt. Ideal zum Nachdenken, hat er immer gesagt. Und
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