Tödliche Aktien
einen Schluck starken schwarzen Kaffee und blickte wieder auf die Uhr. Viertel vor neun. In fünfzehn Minuten waren die Leute von Onada da. Erneut wandte ich mich dem Vertrag zu; hastig flogen meine Augen über die Seiten.
Stopp! Ich blickte genauer hin. Immer wieder las ich den Absatz, und mir gefiel ganz und gar nicht, was ich da vor Augen hatte.
Wir verpflichteten uns, Onada Industries das Quellenprogramm von FairSim1 zu überlassen.
Das schien mir ein großer Fehler zu sein. Sobald wir Onada unser Programm preisgegeben hatten, brauchten sie uns nicht mehr. In ein oder zwei Jahren würde das Unternehmen ein anderes, wenn auch sehr ähnliches Programm entwickelt haben, und wir waren überflüssig. Das war gefährlich. Im Quellenprogramm von FairSim1 war die Summe von FairSystems’ Entwicklungsarbeit konzentriert, das ganze Wissen des Unternehmens über die Konstruktion von virtuellen Welten. Das Programm war das Herzstück der Firma.
Und das sollten wir hergeben?
Zehn vor neun. Ich nahm den Entwurf und ging hinüber zu Davids Büro. Er war nicht da. Also rief ich Susan an.
»Haben Sie David gesehen?«
»Er ist da«, sagte sie. »Vor einer halben Stunde habe ich ihn gesehen. In seinem Büro ist er nicht?«
»Nein. Können Sie herumtelefonieren? Ich brauche ihn dringend.«
Ich ging an meinen Schreibtisch zurück und wartete, wobei ich mit den Fingern einen ungeduldigen Trommelwirbel schlug. Was bezweckte David? Hatte er mir die Papiere absichtlich so spät gegeben, damit ich die Klausel nicht entdeckte? Oder machte ich aus einer Mücke einen Elefanten? Zahlten wir damit womöglich nur einen angemessenen Preis für den Zugang zum Unterhaltungsmarkt? Kurzfristig vielleicht, langfristig nicht.
Schließlich schlenderte David in mein Büro. Es war ein paar Minuten nach neun.
»Susan hat die ganze Firma per E-Mail nach mir abgesucht. Was ist los?«
»Ich hab’ gerade dies hier durchgesehen«, sagte ich und hielt ihm den Vertragsentwurf entgegen.
»Und?«
»Danach sind wir verpflichtet, das Quellenprogramm von FairSim1 preiszugeben. Das geht nicht.«
»Wir geben es nicht preis, wir verkaufen es«, erläuterte David geduldig. »Dafür bekommen wir eine Menge Lizenzgebühren von Onada. Das ist wirtschaftlich eine Riesensache für uns.«
»Aber sobald Onada über unser VR-Wissen verfügt, können sie eigene Systeme entwickeln, so viele sie wollen. Dann sind wir unseren Vorsprung in der VR-Technologie los.«
»Hören Sie, Mark, machen Sie sich keine Sorgen«, sagte David. »Wir behalten das Programm doch. Ich habe mir das alles sorgfältig überlegt, glauben Sie mir. Der Vertrag ist das Ergebnis sechsmonatiger Verhandlungen, und Onada fliegt einen Big Boß aus Tokio ein, um den Vertrag abzuschließen. Sie warten schon auf uns. Gehen wir?«
So leicht war ich nicht zu beruhigen. »David, ich kann mir nicht helfen, ich bin nicht glücklich bei dem Gedanken, daß wir unser Quellenprogramm verkaufen.«
David verlor die Geduld. »Richard und ich haben lange daran gearbeitet. Dieser Abschluß kann unsere finanzielle Rettung bedeuten und uns einen potenten neuen Partner verschaffen. Diese Chance dürfen wir uns einfach nicht durch die Lappen gehen lassen.« Mit diesen Worten verließ er mein Büro und ging in Richtung Konferenzzimmer.
Unschlüssig folgte ich ihm. Einerseits war er der Marketingdirektor, und ich mußte ihm vertrauen. Zumal er diese Verhandlungen zusammen mit Richard geführt hatte.
Andererseits versuchte er, mich vor vollendete Tatsachen zu stellen, und das gefiel mir ganz und gar nicht.
In einer Reihe saßen die vier Japaner an der gegenüberliegenden Seite des Konferenztisches. Sie trugen dunkelblaue oder graue Anzüge, weiße Hemden, abenteuerlich gemusterte Krawatten – Blütenblätter, Pfauenschwänze, auf- und untergehende Sonnen. Ein wenig wurde die Wirkung dadurch beeinträchtigt, daß sie alle vier solche Krawatten trugen – Rebellion als Konformitätsübung.
Schon bei der Vorstellung wurde die Hackordnung klargestellt. Der »Big Boß aus Tokio« war der kleinste und älteste von ihnen. Ein untersetzter Mann mit dichtem grauem Haar, der unablässig mit dem Schlaf zu kämpfen schien, während er dem Geschehen aus dunkel umschatteten Augen folgte. Er sprach kein Englisch und wurde mit Mr. Akama angeredet.
Seine rechte Hand war erheblich jünger, wahrscheinlich knapp über dreißig. Yoshiki Ishida hieß er, aber wir durften ihn Yoshi nennen. Er sprach ein fließendes Englisch mit
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