Tödliche Beute
Arbeit bis zur Ausrottung der Ketzerei fortzusetzen, fürchte ich, dass schon bald der Klang von Rolands Horn unsere Feinde zur Schlacht ruft und dass sein Schwert alles verwüsten wird, was uns teuer ist.«
»Interessant«, sagte Perlmutter und runzelte die Stirn.
»Zunächst mal scheint dies zu bedeuten, dass Martinez die Reliquien für echt hält. Und zweitens, dass dieser Aguirrez sie in seinem Besitz hat. Damit gewinnt die Legende von Rolands Tod ganz zweifellos an Glaubwürdigkeit.«
Signora Maggi steckte den Kopf zur Tür herein und fragte, ob sie noch etwas für die beiden tun könne. Nocci dankte ihr. »Das ist ein faszinierendes Dokument«, fuhr er fort.
»Haben Sie noch weitere Schriften aus der Feder dieses Martinez?«
»Nicht, dass ich wüsste. Tut mir sehr Leid.«
Perlmutter legte die Fingerspitzen aneinander. »Martinez kommt mir wie jemand mit einem großen Ego vor. Es würde mich überraschen, wenn er nicht regelmäßig Tagebuch geführt hätte. Falls derartige Aufzeichnungen existieren, wäre es großartig, sie aufspüren zu können.
Vielleicht im Staatsarchiv von Sevilla.«
Signora Maggi hörte nur mit halbem Ohr zu, denn sie las ein Blatt, das ebenfalls in dem Kasten gelegen hatte. »Dies ist eine Liste aller Manuskripte in diesem Behältnis.
Anscheinend hat ein früherer Kurator eines der Dokumente entnommen und an das Staatsarchiv in Venedig geschickt.«
»Was für ein Dokument?«, fragte Perlmutter.
»Es wird hier als ›Entlastung eines Seemanns‹ bezeichnet, verfasst von einem englischen Kapitän namens Richard Blackthorne. Eigentlich hätte es wieder zurückgegeben werden sollen, aber das Archiv umfasst mehr als neunzig Kilometer Regalfläche, die eine tausendjährige Geschichte abdecken, und da geraten manche Dinge eben in Vergessenheit.«
»Ich würde Blackthornes Bericht wirklich gern lesen«, sagte Perlmutter. »Man erwartet mich morgen in Mailand, aber vielleicht kann ich einen Abstecher nach Venedig einschieben.«
»Das ist eventuell gar nicht nötig.« Sie nahm die Liste in ihr Büro mit, und dann hörte er das leise Klicken einer Computertastatur. Gleich darauf kehrte Signora Maggi zurück. »Ich habe mich an das Staatsarchiv in Venedig gewandt und um einen Abgleich mit ihrer Kartei gebeten.
Falls das Dokument gefunden wird, kann man es scannen und per E-Mail verschicken.«
»Hervorragend!«, sagte Perlmutter. »Vielen herzlichen Dank.«
Signora Maggi küsste ihn zum Abschied auf die fleischigen Wangen, und wenig später fuhr er mit Nocci durch die Vororte von Florenz zurück. Erschöpft von den Anstrengungen des Tages legte er sich zu einem Nickerchen hin und erwachte gerade rechtzeitig zum Abendessen. Gemeinsam mit Nocci speiste er auf der Terrasse. Sein feinschmeckerisches Gleichgewicht war wiederhergestellt, und so konnte er das Kalbfleisch und die Pastagerichte bis zur Neige auskosten. Nach einem Spinatsalat und einem schlichten Dessert aus frischem Obst schauten sie beide dem Sonnenuntergang zu und nippten schweigend an ihrem Limoncello.
Das Telefon klingelte, und Nocci stand auf. Perlmutter blieb im Dunkeln sitzen und sog tief den erdigen Duft der Weinstöcke ein, der dank einer leichten Abendbrise an seine geschulte Nase drang. Nach einigen Minuten kam Nocci zurück und bat Perlmutter, ihm in einen kleinen, aber hochmodern ausgestatteten Computerraum zu folgen.
Die erstaunte Miene seines Gastes entging ihm nicht.
»Sogar eine so kleine Firma wie die meine muss mit der Zeit gehen, wenn sie auf dem globalen Markt bestehen will«, erklärte Nocci und setzte sich vor den Monitor.
»Das eben war Signora Maggi. Sie bittet wegen der langen Wartezeit um Entschuldigung, aber das fragliche Dokument musste erst aus dem Museo Storico Navale, dem Schifffahrtmuseum, geholt werden, wo es all die Jahre gelegen hat. Hier«, sagte er und gab den Platz frei.
Der robuste Holzstuhl ächzte protestierend, als Perlmutter sich auf ihm niederließ und sogleich die Titelseite überflog. Laut dem Verfasser enthielt der Text den »Bericht eines unfreiwilligen Söldners im Dienste der spanischen Inquisition«.
Perlmutter beugte sich konzentriert vor und begann mit der Lektüre der Worte, die vor fünfhundert Jahren zu Papier gebracht worden waren.
22
Als der Bierlaster um die scharfe Kurve bog, musste der Fahrer eine Vollbremsung einleiten, um nicht mit dem verbeulten Wrack zu kollidieren. Der Wagen lag wenige Meter vor der Abbruchkante auf der Seite und sah aus, als habe er
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