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Tödliche Ewigkeit

Tödliche Ewigkeit

Titel: Tödliche Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denis Marquet
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hat erstarren lassen – die Gedärme aus dem Leib quellend, das Grauen in das Gesicht gemeißelt. Aber hier … Eine unverständliche Scham schnürt ihm die Kehle zu. Lucie liegt, vollständig bekleidet in einer Stellung da, als würde sie schlafen. Doch das tut sie nicht. Selbst im Schlaf, ja, vor allem im Schlaf, verbirgt ein Mensch etwas von sich selbst. Dieser auf dem Bett ausgestreckte Körper aber lässt nichts mehr im Schatten, er bietet sich in einer unerträglichen Präsenz dar. Als wäre der Tod die totale Entblößung. Doch das Übermaß an Präsenz, das dieses Fleisch durch seine endgültige Reglosigkeit bekommt, birgt zugleich eine grausame Abwesenheit. Etwas ist aus diesem Leib gewichen. Der Atem? Das Leben? Lucie selbst  … Dieser dargebotene Körper, der nichts verbirgt, hat auch nichts mehr zu geben.
    Plötzlich begreift Jeff Mulligan. Zwar war er schon mit vielen Leichen konfrontiert, doch es ist das erste Mal, dass er ihn sieht.
    Den Tod.
    Die Spurensicherung, fünf Männer in Begleitung eines Sergeant, stürmte herein. Ann wollte ihnen den Weg zeigen, doch sie steuerten spontan das einzige erleuchtete Zimmer an. Kurz darauf tauchte der Gerichtsmediziner auf, ein Mann asiatischen, vermutlich koreanischen Ursprungs namens Julian Lee. Ann folgte ihm in das Schlafzimmer des Opfers.
    Zwei Männer vom Erkennungsdienst machten Fotos von allen Ecken des Raums. Über der Leiche ging ein wahres Blitzlichtgewitter nieder. Dann stellten sie neben dem Bett Scheinwerfer auf. Einer faltete sorgfältig die Decken zusammen. Als sie fertig waren, inspizierten sie das Laken, sammelten mit einer Pinzette kleinste Hautpartikel und Haare ein und schoben alles vorsichtig in eine kleine Plastikhülle. Ann musste niesen. Im ganzen Zimmer schwebte das Pulver zur Erkennung von Fingerabdrücken, das zwei der Männer mit einem Pinsel auf alle Oberflächen auftrugen. Um die Techniker nicht bei der Arbeit zu stören, wollte Ann hinausgehen, als sie plötzlich Jeff gegenüberstand, aus dessen Gesicht alle Feindseligkeit gewichen war. Sie fragte sich sogar, ob sie sich seine Fassungslosigkeit nur eingebildet hatte. Hatte sie vielleicht ihre eigenen Emotionen an ihrem ersten Tatort auf ihn projiziert?
    Er trat zu dem Gerichtsmediziner, der über den leblosen Körper gebeugt war.
    »Und, was sagen Sie, Doktor?«
    Dieser umkreiste mit seinem behandschuhten Finger die Wunde.
    »Alles deutet auf eine Waffe mit Doppelklinge hin«, murmelte er, als spräche er mit sich selbst. »Ein Kampfmesser …«
    »Ein banaler Ehekrach ist also ausgeschlossen«, stellte Mulligan fest.
    »Warum?«, wollte Ann wissen.
    »Diese Frau mag ja einen Freund gehabt haben, der mit einem Dolch herumspazierte. Aber wenn ein Familienstreit ausartet, ist meistens ein einfaches Küchenmesser die Tatwaffe … Fest steht allerdings, dass sie sich bedroht fühlte.«
    »Woher wissen Sie das?«
    Der Sergeant überhörte die Frage und wandte sich wieder an den Gerichtsmediziner.
    »Können Sie den Todeszeitpunkt feststellen?«
    »Das werden wir gleich sehen. Helfen Sie mir bitte.«
    Er fasste die Leiche an den Schultern, um sie umzudrehen. Plötzlich, wie vor den Kopf geschlagen, erstarrte Mulligan. Nach kurzem Zögern ergriff Ann die Füße des Opfers, um es auf den Bauch zu drehen. Der Arzt zog ein Thermometer aus der Tasche und maß die Temperatur. 33,2 Grad …
    Er sah auf seine Uhr. Es war 8.55 Uhr.
    »Der Tod ist gegen 5.30 Uhr eingetreten.«
    Mulligan starrte ihn mit offenem Mund an. Diesmal hätte Ann schwören können, dass er erneut völlig fassungslos war.
    »5.30 Uhr? Sind Sie ganz sicher, Doktor?«, stammelte er.
    »Natürlich, Sergeant. Warum fragen Sie?«
    Wortlos wandte sich Mulligan um und ging hinaus.
    Millar war zum Revier geschickt worden, um die Aussagen der Streifenpolizisten aufzunehmen und erste Berichte zu schreiben. Seit einigen Minuten warteten Ann und Jeff, einen Kaffee in der Hand, im Empfangsraum des Leichenschauhauses an der Ecke 30th Street und First Avenue. Der Raum war mit Sofas, Sesseln und Couchtischen ausgestattet, auf denen Schachteln mit Papiertaschentüchern standen. Außer ihnen warteten noch zwei Personen, offenbar Angehörige eines Opfers, die gekommen waren, um den Leichnam zu identifizieren. Doch ihre geröteten Augen hatten so viel geweint, dass die Tränen jetzt versiegt waren.
    Ein Angestellter bat Mulligan und Ann, ihm zu folgen. Sie liefen über einen langen Gang mit tristen grauen Betonwänden. Auf der

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