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Tödliche Ewigkeit

Tödliche Ewigkeit

Titel: Tödliche Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denis Marquet
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Soweit er sich erinnert, war es am frühen Abend. Plötzlich lässt eine heftige Windböe den Wagen ausbrechen, und der Fahrer hat alle Mühe, ihn unter Kontrolle zu bringen. Die Straße ist schlecht, eher ein holpriger Feldweg als eine asphaltierte Fahrbahn. Ein weiterer, deutlich stärkerer Windstoß wirft den Lieferwagen fast um, und Raúl wird zu Boden geschleudert. Als er die Nase wieder an die Scheibe presst, wird er von einem grellen Lichtstrahl geblendet, der kurz den dichten erdig-braunen Nebel draußen durchbricht. Als Raúl in die Richtung blickt, aus der das Licht kommt, erblickt er eine weiße, leuchtende Kugel, die sie zu begleiten scheint; sie erinnert an den Mond, doch das ist unmöglich, dazu ist sie zu grell. Es kann nur die Sonne sein, gefiltert durch … Durch was? Eine dritte Sturmböe bringt den Lieferwagen gefährlich ins Schleudern, und plötzlich begreift Raúl. Er entdeckt im Sonnenlicht eindeutige braune Spuren, die typisch für einen Sandsturm sind.
    Es ist Tag, und er befindet sich mitten in der Wüste.
    Wie lange war er bewusstlos? Die ganze Nacht und einen Teil des Tages, je nachdem, wie spät es jetzt ist. Man hat ihm seine Uhr abgenommen. Der Schlag, den er abbekommen hat, erklärt keine so lange Bewusstlosigkeit. Sicher hat man ihm ein Betäubungsmittel verabreicht. Darauf deuten auch seine trockene Zunge und die ungewöhnlich schweren Augenlider hin.
    Der Sturm scheint nachzulassen. Raúl blickt angestrengt in das sich langsam erhellende Dämmerlicht und erblickt, so weit das Auge reicht, eine riesige Sandfläche mit vereinzelten Sträuchern und einigen wenigen Anhöhen. In welche Richtung bringen sie ihn? Er weiß es nicht. Er kennt die Wüsten um Ciudad Juárez herum nicht. In der Ferne bemerkt er einen kleinen Hügel, der an eine Haifischflosse erinnert, und prägt sich die Form ein.
    Das könnte für die Orientierung nützlich sein.

SARANAC LAKE, BUNDESSTAAT NEW YORK
     
    Die Angestellten des Bestattungsinstituts lassen Lucie Miltons Sarg in ihre, wie man sagt, letzte Ruhestätte hinab. Das heißt, an den Ort, wo ihr Körper fern von allen Blicken verrotten wird. Hässlich, so ein verwesender Körper. Das stinkt. Das ist nicht menschlich. Jeff Mulligan lehnt etwas abseits an einem Baum. Die Menge, die sich um das Grab drängt, versperrt ihm den Blick. Aber er weiß, wie Beerdigungen ablaufen. Der Sarg wird langsam heruntergelassen, dann ein leichter Aufprall. Lucie kannte offensichtlich viele Leute. Nach den traurigen Gesichtern und feuchten Augen zu urteilen, war sie sehr beliebt gewesen. Das wundert Jeff Mulligan nicht weiter. Sie war etwas Besonderes.
    Wie kommt er darauf? Er hat sie gar nicht gekannt. Woher also dieser Eindruck von Vertrautheit? Dieses Gefühl von Nähe ?
    Eine leichte Brise streift sein Gesicht und treibt würzige Düfte von den umliegenden Bergen herüber. Er entfernt sich langsam. Die Zeremonie ist noch nicht beendet, aber er will unbemerkt bleiben. Mulligan betrachtet das Grün der Tannen. Hier also hat sie gelebt. Saranac Lake in den Adirondack Mountains. Eine kleine friedliche Stadt am Ufer eines Sees mitten im Wald. Nur im Stadtzentrum stehen ein paar höhere Gebäude. Überall sonst wachsen die Häuser zwischen den Bäumen. Wenn man den Kopf hebt, erblickt man die Berge.
    Jeff weiß nicht, warum er hergekommen ist. Die Ermittlungen? Er hat einige Bewohner befragt. Die meisten kannten Lucie. Sie ist hier aufgewachsen, sie liebte Bergwanderungen und badete gerne im See. Nach ihrem Biologiestudium in Harvard kehrte sie hierher zurück und fand eine Stelle als Wissenschaftlerin am Trudeau Institute. Saranac Lake hat etwas Dörfliches. Doch trotz der geringen Größe und der Lage ist es eine moderne Stadt. Es gibt eine örtliche Tageszeitung, ein Theater, ein Krankenhaus, zahlreiche Hotels … Und ein Forschungszentrum für Biomedizin und Immunologie, das 1964 gegründet wurde und zu den wichtigsten und angesehensten der Welt gehört. Dort hatte Lucie ihren ersten Job gefunden. Hatte ihre Berufswahl damit zu tun, dass sie in der Nähe dieser prestigeträchtigen Einrichtung aufgewachsen war? Nach übereinstimmenden Aussagen fühlte sie sich dort wohl und blieb, bis das AdamTech-Institute sie abwarb. War es ihr schwergefallen, ihre Familie zu verlassen?
    Als Jeff Mulligan an diesem Morgen durch die luftigen Straßen von Saranac Lake gelaufen ist, haben ihm einige Passanten zugelächelt, ohne ihn zu kennen. Kann man unbeschadet das einfache,

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