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Tödliche Ewigkeit

Tödliche Ewigkeit

Titel: Tödliche Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denis Marquet
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einen Seite befanden sich kleine Metalltüren, darüber digitale Temperaturanzeigen, die sich immer um null Grad bewegten. Als sie mit ihrer Klasse der Polizeiakademie zu einer Führung hier gewesen war, hatte man Ann erklärt, es handele sich um Kühlfächer (insgesamt 125), in denen die Leichen aufbewahrt wurden, die auf eine Autopsie, eine Feuer- oder Erdbestattung warteten.
    Sie betraten einen langgestreckten Raum, in dem nebeneinander acht Tische aufgestellt waren, über denen Operationslampen ein gleißendes Licht verbreiteten. Und auf jedem der Tische lag ein vollständig nackter Körper. Die weiblichen Leichen, von denen drei noch recht jung waren, wirkten klein und zusammengekrümmt. Die Brüste waren eingefallen, und das Schambein war die einzige Erhebung. Die Virilität der männlichen Leichen war weniger beeinträchtigt, so als attackiere der Tod lieber die weiblichen Attribute. An zwei Tischen waren Gerichtsmediziner tätig. Ann zuckte zusammen, als sie im Vorbeigehen das Splittern eines Knochens vernahm.
    Am Ende des Raums stand Dr. Lee mit einem jungen Assistenten, vielleicht noch Student, vor einem Tisch, der Ann sehr groß erschien. Darauf lag Lucie Miltons Leiche, der Kopf ruhte auf einer Art Kissen aus dunklem Holz. Darüber hing ein Mikro, das mit einem Aufnahmegerät verbunden war. Der Gerichtsmediziner sprach hinein:
    »18. September 2007, zehn Uhr vormittags. Julian Lee, verantwortlicher Gerichtsmediziner, assistiert von dem Praktikanten Brian Merlinwood. Ebenfalls anwesend sind Sergeant Jeff Mulligan und Detective Ann Lawrence. Autopsie von Lucie Milton, achtundzwanzig Jahre, Hautfarbe weiß, weiblich, Körper normal entwickelt, Gewicht dreiundfünfzig Kilo, Größe eins neunundsechzig, Haarfarbe blond, Zähne gepflegt, Augen blau. Vollständige Starre von Kiefer und Lidern. Weder Totenflecken noch grüne Stellen. Ungefährer Todeszeitpunkt: 5.30 Uhr.«
    Lee unterbrach sich, griff zu dem Skalpell, das ihm sein Assistent reichte, und nahm den ersten Schnitt vor. Ann zwang sich, keinerlei Regung zu zeigen. Statt der Stimme des Arztes vernahm man jetzt das Schnittgeräusch. Dann ein Knacken, gefolgt von einem weiteren. Der Gerichtsmediziner näherte sich dem Mikro, um etwas zu sagen, doch Mulligan kam ihm zuvor.
    »Doktor …«
    »Ja?«
    »Sind Sie sich bei der Todesstunde ganz sicher?«
    »So sicher, wie man es sein kann, Sergeant.«
    »Wie hoch ist das Fehlerrisiko?«
    »Im vorliegenden Fall sehr gering. Der Tod liegt noch nicht lange zurück.«
    »Ist es nicht möglich, dass Sie sich um eine Stunde vertan haben?«
    »Nein. Wir haben die Körpertemperatur um neun Uhr morgens gemessen, und sie betrug 33,2 Grad. Das heißt, der Tod ist weniger als dreieinhalb Stunden vorher eingetreten.«
    »Warum?«, fragte Ann.
    »Nach dem Tod verliert eine Leiche pro Stunde ungefähr ein Grad, bis sie die Raumtemperatur erreicht hat.«
    » Ungefähr «, betonte der Sergeant.
    »Hören Sie«, erwiderte der Arzt in einem Ton, der leichten Unwillen verriet, »ich habe ungefähr gesagt, weil wir Wissenschaftler uns einer äußerst vorsichtigen Ausdrucksweise zu bedienen pflegen. Aber diese Messeinheit ist eine der sichersten, die es gibt.«
    »Es muss aber ein Irrtum vorliegen.«
    »Wollen Sie weitere Beweise? Der Körper zeigt, die Unterschenkel ausgenommen, eine fast vollständige Leichenstarre. Die tritt im Allgemeinen zwischen der vierten und sechsten Stunde nach dem Tod ein, nie aber vor der dritten, und beginnt im Gesicht und an den Augenlidern. Bei meinem Eintreffen am Tatort um 8.45 Uhr war das Gesicht dieser Frau schon starr. Ich kann Ihnen also versichern, dass sie um 5.30 Uhr bereits tot war oder im Sterben lag.«
    »Aber das ist unmöglich.«
    »Und warum?«
    »Weil Lucie Milton um sechs Uhr morgens vor der Tür meines Büros stand.«

ZUR SELBEN ZEIT IM NORDEN MEXIKOS
     
    Raúl kneift die Augen zusammen und versucht trotz des heftigen Holperns die Landschaft zu erkennen, die hinter der schmutzigen Scheibe des gepanzerten Lieferwagens vorbeizieht. Hat der Schlag seine Sehkraft beeinträchtigt, oder war es die Ohnmacht, aus der er gerade erwacht ist? In dem Laderaum, in den man ihn gesperrt hat, ist es finster, auch draußen ist alles dunkel.
    Raúl verzieht das Gesicht. Er hat furchtbare Kopfschmerzen. Doch hinter dem Schmerz übernimmt sein durch die jahrelangen Sondereinsätze geschärfter Überlebensinstinkt das Kommando. Er analysiert seine Lage. Um wie viel Uhr ist er angegriffen worden?

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