Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tödliche Ewigkeit

Tödliche Ewigkeit

Titel: Tödliche Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denis Marquet
Vom Netzwerk:
und der ihn nachts aus den kurzen Augenblicken des Schlafes riss.
    Raúl bleibt auf einem Hügel stehen und blickt sich aufmerksam um. In der Ferne, auf der anderen Seite des Grenzflusses, sind die erleuchteten Wolkenkratzer von El Paso zu erkennen. Um sich herum sieht er statt bunter Häuser jetzt Wellblechhütten, aus denen nur der zuckende Schein von Taschenlampen und Kerzen dringt. Er hat sich verlaufen. Sein Handy hat keinen Empfang mehr, und Teresa besitzt ohnehin kein Telefon. Weiter unten erhellt elektrisches Licht einen Teil der Straße. Eine geöffnete Cantina . Vielleicht kann man ihm dort weiterhelfen.
    Mit klopfendem Herzen, um einen gemessenen Schritt bemüht, geht er den ungeteerten Weg hinab. Hier gibt es weder gepflasterte noch asphaltierte Straßen. Als er Guillermo das letzte Mal gesehen hat, war dieser vier Monate alt. Er hat ihn angelächelt und erkannt. Jetzt ist er fast drei Jahre alt. Sein Vater war ein Fremder für ihn. Vielleicht würde er sogar Angst vor ihm haben. Raúl würde sich seinem Sohn vorsichtig annähern müssen. Das würde lange dauern und nur möglich sein, wenn er ihn regelmäßig sehen konnte. Würde Teresa ihm helfen?
    Die Cantina ist nur noch wenige Meter entfernt. Dort findet ein Fest statt, man hört Rufe, Gelächter und Musik. Raúl will jetzt nur noch eines: seinen Sohn sehen. Er rennt los.
    Das ist sein Fehler. Zu spät hört er den Lieferwagen, der sich ohne Scheinwerfer langsam von hinten nähert. Er muss sich gar nicht erst umdrehen, um zu wissen, dass die Männer, die jetzt ausgestiegen sind und ihm lautlos folgen, Profis sind. Er läuft schneller, doch der Lieferwagen gibt Gas und schneidet ihm den Weg ab. Ein Maskierter packt ihn am Arm. Er macht sich frei und schlägt seinen Angreifer nieder. In diesem Augenblick zuckt ein Blitz durch seinen Schädel, gefolgt von einem unbeschreiblichen Schmerz. Ehe er das Bewusstsein verliert, sagt sich Raúl, dass er nun sterben wird, ohne seinen Sohn wiedergesehen zu haben.
    Er irrt sich. Die Männer, die seinen reglosen Körper in den Wagen zerren, haben nicht den Auftrag, ihn zu töten.
    Es ist viel schlimmer.

19. REVIER, 6.00 UHR MORGENS
     
    An jenem Morgen nahm für Jeff Mulligan alles seinen Anfang. Der Morgen nach einer Nacht, in der sich wie üblich die Stunden träge dahinzogen; eine Ödnis, in der er seit jeher umherirrte, außer in den allzu wenigen Momenten, wenn er Kopf und Kragen riskierte … Doch an diesem Tag hatte er ein Stelldichein mit dem Leben.
    Die Tür des Sergeant stand offen. Bisweilen warfen Polizisten einen flüchtigen Blick hinein und gingen gleich weiter. Niemand betrat sein Büro ohne triftigen Grund. Jeff war sich bewusst, dass die anderen ihn fürchteten und für pervers, verrückt und gefährlich hielten … Auf dem Revier war er nicht beliebt. Daran lag ihm auch gar nichts. Solche Wertschätzung war selten aufrichtig, und meistens waren zwischenmenschliche Beziehungen reine Farce.
    Es wurde langsam hell. Durch das Fenster beobachtete Mulligan, wie das rötliche Licht am dunkelblauen Himmel emporstieg. Im fünften Stock, in dem die Detectives saßen, herrschte Stille, nur wenige leise Unterhaltungen und das Rattern einiger Drucker war zu hören. Dabei waren hier fast so viele Menschen wie tagsüber anwesend, doch die Nacht schien einen geheimnisvollen Einfluss auf ihr Verhalten zu haben und eine gedämpfte Atmosphäre zu verlangen.
    Der Dienst war in drei Schichten aufgeteilt: von 7.00 bis 16.00 Uhr, von 15.00 Uhr bis Mitternacht und von 23.00 bis 8.00 Uhr. Alle Beamten hatten wechselnde Dienstzeiten, und jedes Team hatte eine Stunde, um dem nachfolgenden die laufenden Fälle zu übergeben. Doch in der Realität waren Überstunden an der Tagesordnung. Eigentlich hätte Jeff Mulligan von 7.00 bis 16.00 Uhr Dienst gehabt, doch er war schon seit kurz nach Mitternacht anwesend. Er hatte liegengebliebenen Papierkram zu erledigen. Ohnehin stempelte er nie.
    Jeff Mulligan war nicht zu Bett gegangen. Er ging nie zu Bett. Manchmal, wenn sein Körper vom allzu langen Wachsein erschöpft war, ließ er sich irgendwo hinfallen und schlief einige Minuten oder Stunden. Er hatte kein Zeitgefühl. Der Rhythmus der anderen war ihm gleichgültig. Tag, Nacht, ein Zyklus von Schlafen und Wachen, das interessierte ihn nicht. Es gab da eine innere Kraft, die ihn am Schlafen hinderte. Vielleicht hatte er zu viel Energie, denn richtige Müdigkeit kannte er nicht.
    Doch an diesem Morgen schien ein ungewohntes

Weitere Kostenlose Bücher