Tödliche Ewigkeit
gezogenen Mundwinkeln.
»Hat sein Dienst nicht um acht Uhr begonnen?«
»Wenn man es genau nimmt, tritt Sergeant Mulligan seinen Dienst nie an. Man könnte die Auffassung vertreten, dass er immer im Dienst ist. Oder nie.«
»Und was soll ich jetzt tun?«
»Da der Lieutenant Sie ihm direkt unterstellt hat, warten Sie seine Befehle ab.«
»Aber wenn er doch nicht da ist?«
»Warten Sie, bis er kommt. Entschuldigen Sie mich jetzt bitte, ich habe noch Papierkram zu erledigen. Sie wissen ja, wie das ist.«
»Noch nicht.«
»Ja, natürlich …«
Wieder dieses schmallippige Lächeln.
»Wie heißen Sie?«
»Bert Garner. Nennen Sie mich Bertie.«
Cafeterien sind der beste Ort, um Bekanntschaften zu schließen. Nach zwei Stunden hatte Ann ein Dutzend Kollegen kennengelernt, das heißt fast die Hälfte der Truppe. Doch noch immer keine Spur von ihrem Vorgesetzten.
»Was, Sie sind Mulligan zugeteilt?«
Jedes Mal bekam die frischgebackene Ermittlerin des 19. Reviers denselben Ausruf zu hören. Doch die Gründe schienen nicht immer die gleichen. Ein Sergeant hatte bei der Nennung des Namens sogar auf den Boden gespuckt. Ein Detective, der älteste von allen, hatte bewundernd geseufzt: »Der beste Cop von New York!« Die anderen hatten nichts weiter gesagt. Manche hatten das Gesicht verzogen, was alles heißen konnte, oder auch das Gegenteil. Nur eins stand fest: Jeff Mulligan wurde gefürchtet … Frank Millar, der es ihr offensichtlich nicht weiter übel nahm, dass sie ihn an der Aufzugtür hatte stehen lassen, flüsterte ihr zu:
»Jeff Mulligan ist der größte Dreckskerl in der Geschichte des NYPD.«
»Wie meinen Sie das?«
»Es ist ein offenes Geheimnis, dass er eine Nutte aushält und Schutzgelder erpresst. Aber er wird protegiert.«
»Von wem?«
»Ich habe nichts gesagt.«
Also wartete Ann verwirrt. Mehrmals hatte sie die Cafeteria verlassen, war durch die Abteilung gelaufen, hatte hier und da den Kopf durch eine Tür gesteckt und sich überall nach ihrem Vorgesetzten erkundigt. Sie saß auf einer Bank und trank gerade ihren fünften schlechten Kaffee, als sie ein entferntes Brüllen aus ihrer Benommenheit riss:
»Lawrence!«
Sie sprang auf und hörte sich »ja« antworten, so als stünde der Rufer ihr gegenüber …
Sie lief hinaus.
»Lawrence!«
Ann beschleunigte ihr Tempo. Als sie um eine Ecke bog, prallte sie gegen einen kräftigen Körper.
»Lawrence?«
»Ja …«
»Ich suche Sie schon seit einer halben Stunde! Um wie viel Uhr hätten Sie Ihren Dienst antreten sollen?«
»Aber …«
»Das fängt ja gut an.«
Der Mann schob sie in den Aufzug und drückte den Knopf zum Untergeschoss. Während die Kabine langsam hinabglitt, musterte Ann verstohlen den Mann, der niemand anders als Mulligan sein konnte. Reglos stand er ihr gegenüber, ohne eine der in solchen Momenten üblichen Posen: Er blickte weder auf seine Schuhspitzen noch zur Decke, und er pfiff auch nicht mit lässiger Miene vor sich hin. Seine Augen ruhten auf Ann, ohne dass er sie angestarrt hätte oder ihrem Blick ausgewichen wäre. So als wäre sie ihm gleichgültig, oder schlimmer noch: als würde sie gar nicht für ihn existieren. Er war nicht besonders groß, doch von seinem stämmigen Körper, der mit beiden Beinen fest auf dem Boden stand, ging eine beeindruckende Kraft aus, verstärkt durch die seltsame Undurchdringlichkeit seiner Züge. Sein Gesicht war nicht besonders attraktiv: Die Nase war platt, Schlupflider verdeckten einen Teil der mandelförmigen Augen, das Kinn war zu kantig. Doch das Zusammenspiel der einzelnen Züge, von denen keiner wirklich schön war, hatte etwas Wildes, das sie verwirrte.
Die Türen des Aufzugs öffneten sich auf den Parkplatz des NYPD. Mulligan schob Ann in den zivilen Streifenwagen und ließ den Motor an.
»Wohin fahren wir?«, fragte sie.
»Einen Dreckskerl verhaften.«
Der Ford fuhr über die Park Avenue und bog dann in die 136th Street Richtung Harlem ein. Ann brach das Schweigen:
»Das ist nicht mehr unser Bezirk …«
Mulligan machte vor einem Haus eine Vollbremsung.
»Die Anzeige ist aber bei uns erstattet worden.«
»Haben Sie einen Durchsuchungsbefehl?«
»Steigen Sie aus.«
Er wies sie an, die Eingangshalle zu überwachen, und verschwand im Treppenhaus. Also wartete sie und fragte sich, was genau das unter diesen Umständen zu bedeuten hatte. Die wenigen Passanten auf der Straße schenkten ihr keine Beachtung. Sollte sie den Zutritt untersagen, solange ihr
Weitere Kostenlose Bücher