Tödliche Geschäfte
Janet, Alvarez nach draußen zu tragen. Zu zweit hievten sie ihn auf den Rücksitz des Mietwagens.
Sean sah ein, daß es durchaus vernünftig war, Alvarez zur Notaufnahme des Miami General Hospital zu bringen. Es wäre unklug gewesen, einen blutenden und bewußtlosen Mann ohne ärztliche Hilfe zu lassen. Wenn sich sein Zustand verschlechterte, würde er ernsthafte Probleme bekommen, aus denen ihm selbst sein cleverer Bruder nur mit Mühe heraushelfen konnte. Aber Sean hatte auch nicht vor, sich wegen dieser Anwandlung von Gnädigkeit erwischen zu lassen.
Obwohl es Sonntagmittag war, zählte er darauf, daß in der Notaufnahme Hochbetrieb herrschen würde, und er wurde nicht enttäuscht. »Wir laden ihn nur kurz ab!« warnte er Janet. »Rein und sofort wieder raus. Sobald wir ihn in der Notaufnahme abgeliefert haben, verschwinden wir wieder. Das Personal wird schon wissen, was es zu tun hat.«
Janet war zwar nicht völlig einverstanden, doch sie hütete sich zu widersprechen.
Sean ließ den Motor laufen, während er mit Janets Hilfe Alvarez’ noch immer steifen Körper auf dem Rücksitz arrangierte. »Wenigstens atmet er noch«, bemerkte er.
Direkt hinter der Tür zur Notaufnahme entdeckte er eine leere Krankenliege. »Wir packen ihn da drauf!« befahl er Janet.
Als Alvarez sicher auf der Liege lag, gab er dem Gefährt einen sanften Stoß. »Polytrauma«, rief er, während die Liege den Flur hinunterrollte. Dann packte er Janets Arm und sagte: »Komm, laß uns hier verschwinden!«
Während sie zum Wagen zurückhasteten, sagte Janet: »Aber das war doch kein Polytrauma.«
»Ich weiß«, gestand Sean. »Aber mir ist sonst nichts eingefallen, um ein wenig Aufruhr zu verursachen. Du weißt doch, wie das in der Notaufnahme läuft. Alvarez hätte noch Stunden rumliegen können, bevor sich irgend jemand um ihn gekümmert hätte.«
Janet zuckte nur die Schultern. Sean hatte nicht völlig unrecht. Und im Gehen hatte sie bemerkt, daß ein Pfleger die Liege bereits in Empfang genommen hatte.
Auf dem Weg zurück ins Forbes-Zentrum sagten weder Sean noch Janet ein Wort. Beide waren todmüde. Außerdem war Janet noch immer irritiert von Seans Gewaltausbruch.
Währenddessen überlegte Sean, wie er sich ein paar Stunden ungestörten Arbeitens im Labor verschaffen konnte. Nach dem unglücklichen Zwischenfall mit Alvarez und in Anbetracht der Tatsache, daß die Polizei sowieso schon nach ihm fahndete, wußte er, daß er sich etwas wirklich Überzeugendes einfallen lassen mußte, um die Meute noch eine Zeitlang abzuwehren. Plötzlich hatte er eine Idee, radikal, aber wirksam. Der Gedanke ließ ihn trotz seiner Erschöpfung unwillkürlich lächeln. In dem, was er vorhatte, lag eine geradezu poetische Gerechtigkeit, die ihm gefiel.
Zu diesem Zeitpunkt hielt Sean auch den Einsatz extremer Mittel für durchaus gerechtfertigt. Je länger er über seine Theorie zu den Vorgängen am Forbes-Krebszentrum nachdachte, desto überzeugter war er von ihrer Richtigkeit. Doch er brauchte einen Beweis, er brauchte Zeit im Labor. Und um diese Zeit zu gewinnen, mußte er zu drastischen Maßnahmen greifen, je drastischer, desto effektiver.
Als sie in die Einfahrt zum Parkplatz des Forbes-Zentrums einbogen, brach Sean das Schweigen. »An dem Abend, an dem du in Miami angekommen bist, war ich auf einer Party bei Dr. Mason«, sagte er. »Ein Medulloblastom-Patient hat dem Forbes-Zentrum eine großzügige Spende vermacht, richtig dickes Geld. Er war der Aufsichtsratsvorsitzende eines großen Flugzeugherstellers aus St. Louis.«
Janet sagte nichts.
»Louis Martin ist Vorstandsvorsitzender einer Computerfirma im Norden von Boston«, fuhr Sean fort und sah Janet an, während er den Wagen einparkte. Sie erwiderte seinen Blick mit fragender Miene.
»Malcolm Betancourt ist Manager einer riesigen Kette kommerziell arbeitender Kliniken«, setzte Sean nach.
»Und Helen Cabot war Studentin«, erwiderte Janet schließlich.
Sean öffnete die Fahrertür, stieg jedoch nicht aus. »Stimmt, Helen war Studentin, aber ihr Vater ist auch Gründer und Vorstandsvorsitzender eines der weltweit größten Software-Unternehmen.«
»Was willst du damit andeuten?« fragte Janet.
»Ich möchte nur, daß du darüber nachdenkst«, sagte Sean, als er schließlich ausstieg. »Und ich möchte, daß du dir oben die dreiunddreißig Akten, die wir kopiert haben, noch einmal auf die ökonomischen Verhältnisse der Patienten ansiehst und mir sagst, was du
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