Tödliche Geschäfte
irgendwo in Strandnähe umsehen. Sie haben die Gegend in letzter Zeit ganz schön aufgemöbelt. Entweder das oder Coconut Grove.«
»Ich werde mich an Ihren Ratschlag halten«, sagte Janet und stand auf, da sie annahm, das Gespräch sei beendet.
»Wie wär’s mit einem kurzen Rundgang durch die Klinik?« fragte Ms. Richmond.
»Gerne«, erwiderte Janet.
Zunächst führte Ms. Richmond Janet zum Büro gegenüber, um Dan Selenburg, den Verwaltungschef des Krankenhauses, kennenzulernen, der jedoch im Moment nicht zu sprechen war. Statt dessen begaben sie sich in den ersten Stock, wo sie die Behandlungsräume für die ambulanten Patienten, den Vortragssaal des Krankenhauses und die Kantine besichtigten.
Im zweiten Stock warf Janet einen Blick in die Intensivstation, die OP-Säle, das chemische Labor, die Radiologieabteilung und das Archiv mit den Patientenunterlagen. Von dort ging es in den vierten Stock.
Janet war von der Klinik beeindruckt. Sie wirkte fröhlich, modern und personell gut ausgestattet, was aus Sicht einer Krankenschwester besonders wichtig war. Sie hatte Bedenken gehabt wegen der Arbeit auf einer Onkologie-Station, wo sie ausschließlich mit Krebspatienten zu tun haben würde, aber angesichts der ansonsten angenehmen Umgebung und der Vielzahl verschiedener Patienten, die sie sah - einige alt, andere offensichtlich schwer krank, wieder andere in scheinbar ganz normaler Verfassung -, entschied sie, daß die Forbes-Klinik auf jeden Fall ein Ort war, an dem sie es aushalten konnte. In vielerlei Hinsicht war sie dem Boston Memorial Hospital nicht unähnlich, nur moderner und angenehmer eingerichtet.
Der vierte Stock war genauso angelegt wie alle Stationen, ein einfaches Rechteck mit Privatzimmern links und rechts des Mittelkorridors. In der Mitte des Stockwerks, unweit der Aufzüge, befand sich ein langer, U-förmiger Tresen, der den Arbeitsplatz der Schwestern umgab. Dahinter lag ein Vorratsraum und eine Medikamentenkammer mit einer quergeteilten Tür. Gegenüber dem Schwesterntresen befand sich der Aufenthaltsraum für die Patienten, vis-a-vis der Aufzüge eine Putzmittelkammer mit Schmutzwasserbecken. An jedem Ende des langen Flures führten Türen ins Treppenhaus.
Nach Beendigung des Rundgangs überließ Ms. Richmond Janet der Obhut von Marjorie Singleton, der leitenden Schwester der Tagesschicht, die Janet auf Anhieb sympathisch war. Marjorie Singleton war ein kleiner Rotschopf mit zahllosen Sommersprossen auf der Nase. Sie schien ständig mit irgend etwas beschäftigt und hatte immer ein Lächeln auf den Lippen. Janet traf auch noch weitere Kolleginnen und Kollegen, aber es waren einfach zu viele Namen auf einmal, um sie alle zu behalten. Janet glaubte nicht, daß sie sich, außer an Ms. Richmond und Marjorie sowie an Tim Katzenburg, den Stationssekretär, an einen einzigen der Menschen erinnern würde, die ihr vorgestellt worden waren. Katzenburg war ein blonder Adonis, eher Beach-Boy als Stationssekretär. Er erklärte Janet, daß er sich in der Abendschule auf ein Medizinstudium vorbereitete, seit er erkannt hatte, wie beschränkt der Nutzen eines philosophischen Abschlusses war.
»Wir sind wirklich froh, Sie hier zu haben«, sagte Marjorie, nachdem sie sich noch rasch um einen kleineren Notfall gekümmert hatte. »Pech für Boston, gut für uns.«
»Ich bin auch froh, daß ich hier bin«, sagte Janet.
»Seit der Tragödie mit Sheila Arnold waren wir unterbesetzt«, sagte Marjorie.
»Was ist denn passiert?«
»Die arme Frau wurde in ihrem Apartment vergewaltigt und erschossen«, erwiderte Marjorie. »Und das ganz in der Nähe des Krankenhauses. Willkommen in der Großstadt.«
»Das ist ja schrecklich«, sagte Janet und fragte sich, ob Ms. Richmond ihr deshalb von einer Wohnung in unmittelbarer Nachbarschaft abgeraten hatte.
»Wir haben zur Zeit ein kleines Kontingent von Patienten aus Boston«, sagte Marjorie. »Möchten Sie sie kennenlernen?«
»Gern«, sagte Janet.
Marjorie hüpfte los, und Janet mußte praktisch rennen, um mit ihr Schritt zu halten. Gemeinsam betraten sie ein Zimmer auf der Westseite der Klinik.
»Helen«, rief Marjorie leise, als sie neben dem Bett standen. »Sie haben eine Besucherin aus Boston.«
Helen schlug die Augen auf, deren strahlendes Grün einen Kontrast zu der blassen Haut bildete.
»Wir bekommen eine neue Schwester«, sagte Marjorie und machte die beiden Frauen miteinander bekannt.
Der Name Helen Cabot ließ bei Janet sofort ein Lämpchen
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