Tödliche Geschäfte
erkennen.
Er bückte sich, öffnete einen Schrank und blickte hinein. Auf den Regalbrettern standen ein paar halbleere Flaschen mit Reagenzien sowie eine Ansammlung von Glasgefäßen, zum Teil zerbrochen.
»Keine Bewegung!« rief plötzlich eine Stimme, die Sean herumfahren und hochschnellen ließ.
Es war Robert Harris, der mit gespreizten Beinen, die Hände in die Hüften gestemmt, auf der Schwelle stand. Sein fleischiges Gesicht war knallrot. Schweißperlen standen auf seiner Stirn. »Haben Sie in Harvard nicht lesen gelernt?« knurrte er.
»Ich glaube nicht, daß es sich lohnt, sich wegen eines leeren Labors aufzuregen«, sagte Sean.
»Diese Zone darf nicht betreten werden«, sagte Harris.
»Wir sind doch hier nicht bei der Armee«, erwiderte Sean.
Harris machte drohend ein paar Schritte nach vorn. Er hoffte, Sean mit seiner überlegenen Körpergröße und Leibesfülle zu beeindrucken. Aber Sean rührte sich nicht vom Fleck. Er spannte lediglich seine Muskeln an. Mit seiner Straßenerfahrung wußte er instinktiv, wo er Harris hart treffen mußte, wenn dieser Anstalten machte, ihn zu schlagen, obwohl er einigermaßen zuversichtlich war, daß Harris es nicht versuchen würde.
»Sie sind wirklich ein echter Klugscheißer«, sagte Harris. »Schon als ich Sie zum ersten Mal gesehen habe, wußte ich, daß wir beide Ärger bekommen würden.«
»Merkwürdig! Das Gefühl hatte ich bei Ihnen auch gleich«, erwiderte Sean.
»Ich habe Sie gewarnt, mich nicht zu provozieren, Freundchen«, sagte Harris und blieb direkt vor Sean stehen.
»Sie haben da ein paar Mitesser auf der Nase«, sagte Sean. »Nur für den Fall, daß Sie es nicht wußten.«
Harris starrte wütend auf Sean herab und sagte einen Moment lang nichts. Sein Gesicht wurde noch röter.
»Ich glaube, daß Sie sich zu sehr aufregen«, sagte Sean.
»Was, zum Teufel, haben Sie hier drin zu suchen?« wollte Harris wissen.
»Reine Neugier«, sagte Sean. »Man hat mir gesagt, daß sich hier ein Hochsicherheitslabor befinden würde, und das wollte ich mir mal anschauen.«
»Ich will, daß Sie innerhalb von zwei Sekunden hier verschwunden sind«, sagte Harris. Er machte einen Schritt zurück und wies auf die Tür.
Sean betrat den Flur. »Die anderen Räume hätte ich mir auch gern noch angesehen«, sagte er. »Wie wär’s, wenn Sie mich herumführen?«
»Raus!« brüllte Harris und wies auf die Glastür.
Am späten Vormittag hatte Janet einen Termin mit der leitenden Oberschwester Margaret Richmond. Nachdem Sean sie geweckt hatte, hatte sie lange geduscht, ihre Beine rasiert, ihr Haar gefönt und ihr Kleid gebügelt. Obwohl sie wußte, daß ihr der Job in der Forbes-Klinik sicher war, machten sie Treffen wie das bevorstehende stets nervös. Außerdem machte sie sich immer noch Sorgen, daß Sean zurück nach Boston aufbrechen könnte. Alles in allem hatte sie jede Menge Gründe, sich aufzuregen, und keine Ahnung, was die nächsten Tage bringen würden.
Margaret Richmond war nicht, was Janet erwartet hatte. Am Telefon hatte sie wie eine zarte und zierliche Person geklungen. Statt dessen stellte sie sich als eine kräftige und recht strenge Frau heraus. Doch sie war herzlich und geschäftsmäßig und vermittelte Janet das Gefühl, daß sie sich ernsthaft über ihre Ankunft in der Forbes-Klinik freute. Janet durfte sogar ihre Schicht wählen und war froh, sich für die Tagesschicht entscheiden zu können. Sie hatte befürchtet, mit dem verhaßten Nachtdienst anfangen zu müssen.
»Sie haben angegeben, daß Sie am liebsten auf einer Station eingesetzt würden«, sagte Ms. Richmond und warf einen Blick auf ihre Notizen.
»Das ist richtig«, sagte Janet. »Im Stationsdienst ergibt sich am ehesten die Möglichkeit zu der Art Patientenkontakt, wie ich ihn persönlich am befriedigendsten finde.«
»Wir haben gerade eine Vakanz im vierten Stock«, sagte Ms. Richmond.
»Klingt gut«, erwiderte Janet fröhlich.
»Wann würden Sie gern anfangen?« fragte Ms. Richmond.
»Morgen«, antwortete Janet. Sie hätte zwar lieber noch ein paar Tage Zeit gehabt, um eine Wohnung zu finden und sich einzurichten, aber sie wollte so bald wie möglich mit ihren Nachforschungen über die Medulloblastom-Therapie beginnen.
»Heute würde ich mir gerne eine Wohnung oder ein Apartment in der Nähe suchen«, fügte Janet noch hinzu.
»Meiner Ansicht nach sollten Sie lieber nicht in der unmittelbaren Nachbarschaft bleiben«, sagte Ms. Richmond. »Ich an Ihrer Stelle würde mich
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