Tödliche Geschäfte
gegolten hatte, hatte Janet gar nicht bemerkt, daß sich eine weitere Person im Zimmer aufhielt. Sie drehte sich um und sah einen Mann in einer grünen Uniform und mit einer leicht gebogenen Nase.
»Schimpfen Sie nicht mit Tom«, sagte Gloria. »Er wollte mir nur helfen.«
»Ich hab Ihnen doch gesagt, Sie sollen Zimmer 417 saubermachen«, sagte Marjorie, ohne Gloria zu beachten. »Was haben Sie hier verloren?«
»Ich wollte gerade das Bad wischen«, sagte Mr. Widdicomb matt. Er wich ihrem Blick aus und fummelte an dem Stiel des Mobs herum, der aus dem Putzeimer ragte.
Fasziniert beobachtete Janet die Szene. Die kleine Marjorie hatte sich vor ihren Augen von einem liebenswürdigen Rotkäppchen in eine befehlsgewohnte Furie verwandelt.
»Und was sollen wir mit der neuen Patientin anfangen, wenn ihr Zimmer nicht fertig ist?« wollte sie wissen. »Sehen Sie zu, daß Sie dorthin kommen und Ihre Arbeit erledigen.« Sie wies auf die Tür.
Nachdem der Mann gegangen war, schüttelte Marjorie den Kopf. »Tom Widdicomb ist noch mal irgendwann mein Ende hier in der Forbes-Klinik.«
»Er meint es doch nur gut«, sagte Gloria. »Zu mir ist er der reinste Engel. Er kommt täglich, um nach mir zu sehen.«
»Er ist hier nicht als Pfleger eingestellt«, sagte Marjorie. »Zunächst mal muß er seine Pflichten erledigen.«
Janet lächelte. Sie arbeitete gerne auf gut organisierten Stationen unter kompetenter Leitung. Nach dem, was sie gerade gesehen hatte, war sie sicher, daß sie mit Marjorie Singleton prima auskommen würde.
Das Putzwasser schwappte über den Rand des Eimers, als Tom Widdicomb den Flur hinunter zum Zimmer 417 rannte. Er löste den Stopper, ließ die Tür zufallen und lehnte sich dagegen. Sein Atem ging pfeifend und keuchend, die Panik, die ihn erfaßt hatte, als er das Klopfen an Glorias Tür gehört hatte, war noch nicht ganz abgeklungen. Sekunden später, und Marjorie hätte ihn erwischt, wie er Gloria das Succinylcholin verabreichte.
»Alles in Ordnung, Alice«, versicherte Tom seiner Mutter. »Es gibt überhaupt keine Probleme. Du mußt dir keine Sorgen machen.«
Nachdem Tom seine Angst in den Griff bekommen hatte, erwachte jetzt seine Wut. Er hatte Marjorie noch nie leiden können, vom ersten Tag an nicht. Diese überschwengliche Gutmütigkeit war nichts als Fassade. In Wirklichkeit war sie eine Hexe, die sich in alles einmischen mußte. Alice hatte ihn vor ihr gewarnt, aber er hatte nicht hören wollen. Er hätte etwas unternehmen sollen wie bei dieser anderen Wichtigtuerin von einer Schwester, Sheila Arnold, die angefangen hatte, Fragen zu stellen, und wissen wollte, warum er in der Nähe eines Medikamentenwägelchens herumlungerte. Er mußte sich nur das nächste Mal, wenn er in der Verwaltung saubermachte, Marjories Adresse besorgen. Dann würde er ihr ein für allemal zeigen, wer hier das Sagen hatte.
Nachdem er sich mit solchen Rachegedanken einigermaßen beruhigt hatte, löste sich Tom von der Tür und musterte das Zimmer. Das eigentliche Putzen machte ihm wenig Spaß, er genoß nur die Freiheiten, die seine Position ihm gab. Der Job auf dem Krankenwagen hatte ihm besser gefallen, wenn er dort nur nicht dauernd Kontakt mit anderen Sanitätern gehabt hätte. Als Reinigungskraft mußte er sich mit niemandem auseinandersetzen, von gelegentlichen Zusammenstößen wie dem mit Marjorie eben einmal abgesehen. Außerdem konnte er sich praktisch jederzeit überall im Krankenhaus frei bewegen. Der Nachteil war nur, daß er hin und wieder putzen mußte. Aber die meiste Zeit mogelte er sich mit seinem Eimer hantierend so durch, da ihn ohnehin niemand beachtete.
Wenn Tom ehrlich war, mußte er zugeben, daß er am liebsten bei dem Tierarzt gearbeitet hatte, der ihm direkt nach der High School einen Job gegeben hatte. Tom mochte Tiere. Nachdem er eine Weile dort gearbeitet hatte, hatte der Arzt ihn mit der Aufgabe betraut, die unheilbar kranken Tiere einzuschläfern. Meistens waren sie alt und gebrechlich und litten große Schmerzen. Der Job war für Tom äußerst befriedigend gewesen. Er erinnerte sich noch, wie enttäuscht er gewesen war, als Alice seine Begeisterung nicht teilen konnte.
Tom öffnete die Tür und spähte in den Flur. Er mußte zurück zur Putzkammer, um seinen Wagen zu holen, wollte jedoch ein weiteres Zusammentreffen mit Marjorie vermeiden, damit sie nicht wieder anfing. Tom hatte Angst, sich nicht kontrollieren zu können. Er hatte schon öfter den Drang verspürt, sie zu schlagen,
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