Tödliche Geschäfte
aufleuchten. Trotz der vagen Eifersucht, die sie in Boston verspürt hatte, war sie froh, daß auch Helen in der Forbes-Klinik lag, weil ihre Anwesenheit zweifellos dazu beitragen würde, Sean zum Bleiben zu bewegen.
Nachdem Janet kurz mit ihr gesprochen hatte, verließen die beiden Krankenschwestern das Zimmer.
»Ein trauriger Fall«, sagte Marjorie. »So ein süßes Mädchen. Sie hat heute einen Termin zum Biopsieren. Ich hoffe, daß sie auf die Behandlung anspricht.«
»Ich habe gehört, daß ihr hier bei ihrer speziellen Tumorart eine Remissionsrate von hundert Prozent habt«, sagte Janet. »Warum sollte sie nicht darauf reagieren?«
Marjorie blieb wie angewurzelt stehen und starrte Janet an. »Ich bin beeindruckt«, sagte sie. »Offenbar sind Sie nicht nur mit unseren Medulloblastom-Resultaten vertraut, sondern Sie haben soeben auch noch eine korrekte Spontandiagnose erstellt. Verfügen Sie über geheime Kräfte, von denen wir wissen sollten?«
»Wohl kaum«, erwiderte Janet lachend. »Helen Cabot war Patientin an meinem Krankenhaus in Boston. Ich hatte schon vorher von ihrem Fall gehört.«
»Na, da fühle ich mich ja gleich besser«, meinte Marjorie. »Einen Moment lang habe ich schon geglaubt, ich wäre Zeugin übernatürlicher Ereignisse geworden.« Sie ging weiter. »Ich mache mir Sorgen wegen Helen Cabot, weil ihre Tumore bereits sehr weit fortgeschritten sind. Warum habt ihr sie so lange dortbehalten? Sie hätte schon vor Wochen mit der Behandlung anfangen sollen.«
»Darüber weiß ich nichts«, mußte Janet zugeben.
Der nächste Patient war Louis Martin. Im Gegensatz zu Helen wirkte er kein bißchen krank. Er saß vielmehr vollständig angekleidet auf einem Stuhl. Er war erst an diesem Vormittag angekommen und durchlief noch die Aufnahmeprozedur. Er sah zwar nicht krank aus, doch er machte einen ängstlichen Eindruck.
Wieder stellte Marjorie sie vor und fügte hinzu, daß Louis dasselbe Problem habe wie Helen, zum Glück jedoch schneller in ihre Klinik überwiesen worden sei.
Janet schüttelte seine Hand und bemerkte, daß seine Handfläche feucht war. Sie blickte in seine verängstigten Augen und wünschte sich, etwas sagen zu können, was ihn trösten würde. Sie fühlte sich ein wenig schuldig, weil es sie insgeheim gefreut hatte, von Louis’ Leiden zu erfahren, da sie mit zwei Patienten in der Medulloblastom-Therapie ungleich mehr Gelegenheit haben würde, die Behandlungsmethode zu studieren, was Sean bestimmt gefallen würde.
Als sie ins Schwesternzimmer zurückgekehrt waren, fragte Janet Marjorie, ob alle Medulloblastom-Patienten im vierten Stock lagen.
»Um Himmels willen«, sagte Marjorie. »Wir legen unsere Patienten doch nicht nach Tumorarten zusammen. Die Aufteilung ist völlig willkürlich. Wir haben eben im Moment zufällig drei. In diesen Minuten nehmen wir gerade noch eine dritte Medulloblastom-Patientin auf, eine junge Frau aus Houston. Sie heißt Kathleen Sharenburg.«
Janet bemühte sich, ihre Euphorie zu verbergen.
»Wir haben noch eine weitere Patientin aus Boston«, sagte Marjorie und blieb vor Zimmer 409 stehen. »Sie ist ein Schatz mit einer unglaublich positiven Einstellung, die allen anderen Patienten Kraft und Mut gibt. Wenn ich mich recht erinnere, kommt sie aus einem Stadtteil namens North End.«
Marjorie klopfte an die geschlossene Tür. Man hörte ein gedämpftes »Herein«. Marjorie öffnete die Tür und betrat das Zimmer. Janet folgte ihr.
»Gloria«, rief Marjorie. »Wie läuft die Chemo?«
»Wunderbar«, scherzte Gloria. »Ich habe gerade mit meiner heutigen IV-Dosis angefangen.«
»Ich habe Ihnen jemand mitgebracht«, sagte Marjorie. »Eine neue Schwester. Sie kommt aus Boston.«
Janet betrachtete die Frau in dem Bett. Sie schien etwa in ihrem Alter. Noch vor wenigen Jahren hätte der Anblick sie schockiert. Bevor sie angefangen hatte, in einem Krankenhaus zu arbeiten, war auch sie dem Irrglauben erlegen, Krebs sei ein Leiden der Alten. Sie hatte die schmerzhafte Erfahrung machen müssen, daß praktisch jeder ein Opfer der Krankheit werden konnte.
Gloria hatte dunkle Haut, dunkle Augen und früher offensichtlich einmal schwarzes Haar gehabt. Jetzt war ihr Kopf mit dunklem Flaum überzogen. Sie mußte einst eine üppige Figur gehabt haben, aber unter ihrem Nachthemd war eine Seite jetzt völlig flach.
»Mr. Widdicomb!« sagte Marjorie auf einmal ärgerlich und überrascht. »Was machen Sie denn hier?«
Weil ihre ganze Aufmerksamkeit der Patientin
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