Tödliche Geschäfte
hatte jede ihrer Bewegungen beobachtet. Nach etwa einer Stunde war er zu dem Schluß gekommen, daß seine Befürchtungen unbegründet gewesen waren. Sie hatte sich benommen wie jede andere Krankenschwester auch, und Tom war erleichtert gewesen.
Aber dann war sie wieder in Glorias Zimmer erschienen! Tom konnte es kaum glauben. Gerade als er seine Deckung verlassen hatte, war sie erneut aufgetaucht. Daß ein und dieselbe Frau seinen Versuch, Gloria von ihrem Leiden zu erlösen, nicht nur einmal, sondern gleich zweimal vereitelt hatte, konnte kein Zufall mehr sein. »An zwei aufeinanderfolgenden Tagen«, hatte Tom in die einsame Stille der Putzmittelkammer gezischt. »Sie muß eine Spionin sein!«
Sein einziger Trost war gewesen, daß er diesmal eher sie überrascht hatte als umgekehrt. Im Grunde war es sogar noch besser. Er hätte sie beinahe überrascht. Er wußte nicht, ob sie ihn gesehen hatte oder nicht, obwohl er davon ausging, daß sie ihn bemerkt hatte.
Danach war er ihr wieder gefolgt. Mit jedem ihrer Schritte wuchs seine Überzeugung, daß sie hier war, um ihn zu entlarven. Sie benahm sich nicht wie eine gewöhnliche Krankenschwester, ganz bestimmt nicht. Nicht mit all ihrer Herumschleicherei und -schnüffelei. Das schlimmste war, daß sie sogar seine Putzmittelkammer betreten und angefangen hatte, sämtliche Schränke zu öffnen. Er hatte sie vom Flur aus gehört, und er wußte, wonach sie suchte. Die Sorge, sie könnte das Zeug finden, hatte ihn ganz krank gemacht. Sobald sie die Kammer wieder verlassen hatte, war er hineingeschlüpft, auf den Tresen geklettert und hatte in seinem Versteck auf dem Wandschrank ganz in der Ecke blind nach seinem Succinylcholin und den Spritzen getastet. Zum Glück lagen sie noch unberührt an Ort und Stelle.
Nachdem er wieder heruntergestiegen war, bemühte sich Tom, seine Fassung wiederzugewinnen. Immer wieder sagte er sich, daß er sicher war, weil das Succinylcholin noch an seinem Platz lag. Zumindest war er für den Moment noch sicher. Aber er mußte sich um Janet Reardon kümmern, keine Frage, genauso wie er sich um Sheila Arnold gekümmert hatte. Er konnte nicht zulassen, daß sie seinen Kreuzzug aufhielt. Wenn er das tat, riskierte er, Alice zu verlieren.
»Mach dir keine Sorgen, Mutter«, sagte er laut. »Alles wird gut.«
Aber Alice wollte nicht hören. Sie hatte Angst.
Nach einer Viertelstunde hatte sich Tom so weit beruhigt, daß er glaubte, sich der Welt wieder stellen zu können. Er atmete tief durch, riß die Tür auf und trat auf den Flur. Sein Putzwagen stand rechts neben ihm an der Wand. Er begann, ihn den Flur hinunterzuschieben.
Den Blick zu Boden gerichtet, steuerte er die Aufzüge an. Als er am Schwesterntresen vorbeikam, hörte er, wie Marjorie ihm etwas von einem Zimmer nachrief, das er putzen sollte.
»Ich bin in die Verwaltung gerufen worden«, sagte Tom, ohne aufzublicken. Gelegentlich wurde er dorthin zitiert, wenn es einen Unfall gegeben hatte wie eine Tasse verschütteten Kaffee, den er aufwischen sollte. Die regelmäßige Reinigung der Büroräume war Aufgabe der Nachtschicht.
»Na, dann sehen Sie zu, daß Sie so schnell wie möglich wieder zurück sind«, rief Marjorie.
Tom fluchte leise.
In der Verwaltung schob er seinen Putzwagen direkt in das große Zentralbüro. Dort ging es stets sehr geschäftig zu, und niemand beachtete ihn weiter. Er stellte seinen Wagen direkt vor einer Wandtafel mit dem Zimmerplan der Forbes-Residenz im Südwesten von Miami ab.
Die Forbes-Residenz umfaßte zehn Apartments auf jeder Etage, unter jedem Apartment befand sich ein kleiner Schlitz für ein Namensschildchen. Rasch hatte Tom den Namen Janet Reardon in dem Schlitz unter Apartment 207 gefunden. Noch praktischer war ein Schlüsselkasten, der direkt unter der Tafel hing. Darin befanden sich zahlreiche Schlüsselsätze, jeder von ihnen mit einer Nummer gekennzeichnet. Der Kasten sollte eigentlich verschlossen sein, aber der Schlüssel steckte immer im Schloß. Da der Kasten von seinem Putzwagen verdeckt war, konnte sich Tom in aller Seelenruhe die Schlüssel für das Apartment 207 heraussuchen.
Um seine Anwesenheit zu rechtfertigen, leerte er anschließend ein paar Papierkörbe, bevor er seinen Wagen zurück zu den Aufzügen schob.
Als er auf den Lift wartete, spürte er, wie er von einer Welle der Erleichterung überflutet wurde. Sogar Alice war jetzt wieder bereit, mit ihm zu sprechen. Sie erklärte ihm, wie stolz sie auf ihn war, jetzt, wo es in
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