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Tödliche Gier

Tödliche Gier

Titel: Tödliche Gier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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ungepflegten und schäbigen Eindruck — eine Frau, die in einer so großen Menschenmenge nicht auffallen würde. Tommy konnte zwar keinesfalls damit rechnen, sie hier zu sehen, aber womöglich erkannte er sie, falls er in ihre Richtung blickte. Ein so klassisches Äußeres wie das ihre lässt sich fast nicht verbergen. Sowie Mariah und ich Blickkontakt aufgenommen hatten, rutschte sie aus ihrer Nische und setzte sich auf den Platz auf der anderen Seite des Tisches, mit dem Rücken zu uns. Ich hoffte, der Schreck über ihre Anwesenheit hatte sich nicht auf meiner Miene abgezeichnet, aber ich konnte nicht beurteilen, inwieweit ich mein Erstaunen hatte verbergen können. Mein Blick wanderte zu Tommy hinüber. Sein Gesichtsausdruck war fragend, so als hätte er meine Verwunderung gespürt. Er drehte sich auf seinem Stuhl um und musterte den hinteren Teil des Lokals. Spontan ging ich hinüber und setzte mich an seinen Tisch. Ich berührte seine Hand. »Tut mir Leid, dass ich gestern Abend so unfreundlich war.«
    Sein Blick kehrte zu mir zurück, und er lächelte. »Keine Sorge. War meine Schuld.« Der leichte texanische Akzent, den ich noch vor ein oder zwei Tagen so anziehend gefunden hatte, kam mir jetzt nur noch affektiert vor. Er trug einen Kaschmirpullover in einem weichen, fedrigen Grau, der seine leuchtende Haarfarbe und das Grün seiner Augen betonte. Er intensivierte den Blickkontakt und umfasste meine Hand mit der seinen. Er hob meine Finger an und drückte mir einen Kuss in die rechte Handfläche. Fast wäre ich erschauert — nicht vor Erregung, sondern vor Grauen. Was früher verführerisch gewirkt hatte, war jetzt nur noch eine billige Masche. Er wusste, dass er gut aussah, und er machte auf schüchterner Junge vom Land, um seine Attraktivität zu unterstreichen. Ich wusste zu viel über ihn, und die Kraft seiner Sexualität schien mir nichts als Manipulation zu sein. Ein kurzer Rückblick machte mir klar, dass er vom ersten Moment unseres Kennenlernens an daran gearbeitet hatte, zu dominieren, angefangen bei meiner Ablehnung, ein Bier mit ihm zu trinken. Er hatte mir stattdessen eine Pepsi light angeboten und die Dose aufgerissen, bevor ich ablehnen konnte. Ich war den Weg des geringsten Widerstands gegangen, und er hatte die Oberhand behalten. Danach waren alle Übergänge glatt und gut eingeübt gewesen. Er hatte sich mein Mitgefühl gesichert, indem er den Tod seiner Eltern angesprochen und darauf die Bemerkung hatte folgen lassen, dass die Frauen in Kalifornien so hochnäsig seien. Auf der Stelle hatte ich begonnen, ihm das Gegenteil beweisen zu wollen. Auch sein nächster Schachzug war geschickt gewesen: » Welche sind Ihnen lieber? Männer, die viel zu jung für Sie sind, oder Männer, die viel zu alt sind? « Nicht zu fassen, dass ich mich so leicht hatte einwickeln lassen.
    Aus den Augenwinkeln sah ich Mariah die Nische verlassen und sich auf den Weg zur Toilette machen. Ich stützte das Kinn auf die Hand. »Haben Sie Zeit zum Abendessen? Wir könnten noch mal zu Emile’s gehen oder es woanders versuchen.«
    »Besorgen Sie mir erst noch einen Drink, dann können wir darüber reden.«
    Ich zeigte auf sein Glas. »Was trinken Sie denn?«
    »Wodka Martini.« Er hob das Glas und ließ sich die grüne Olive auf die wartende Zunge purzeln.
    Ich nahm sein Glas und stand auf. »Bin gleich wieder da.« Als ich an ihm vorbeiging, streckte er einen Arm aus, um mich zu stoppen. Ich starrte auf sein Gesicht hinab, das er zu mir hochgereckt hielt. Ich konnte sein Rasierwasser riechen. Und ich spürte seine heiße, besitzergreifende Hand auf meinem Po. Ich wand mich aus seinem Griff, beugte mich zu ihm und sagte gelassen: »Nicht frech werden.«
    Seine Stimme war tief und voller Selbstvertrauen. »Ich bin aber frech. Ich dachte, das gefiele Ihnen an mir.«
    »Verlassen Sie sich nicht darauf.«
    Ich ging hinüber an die Bar, wo William Bier zapfte und Drinks mixte. Ich bestellte zwei Wodka Martinis, und wir wechselten ein paar nichts sagende Floskeln, während ich ihm zusah, wie er einen Strahl Wodka in einen silbernen Shaker goss und einen winzigen Spritzer Wermut dazugab. Schließlich stellte er zwei eisgekühlte Martinigläser auf den Tresen.
    »Könntest du mir einen Gefallen tun? Würdest du die Gläser dem Mann in dem grauen Pullover bringen, wenn du dazu kommst? Sag ihm, ich bin auf dem Klo und komme gleich zurück. Er kann seinen ja schon trinken. Ich trinke meinen dann, wenn ich zurückkomme.«
    »Das tu

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