Toedliche Hoffnung
immer tue, und goss uns beiden eine Tasse Tee ein.«
Und dann hast du dich auf ihre Bettkante gesetzt und das arme Ding zugesülzt, dachte ich. In deiner unendlichen Güte.
Jillian Dunne legte sich die Hand auf die Brust.
»Stellen Sie sich vor, da fing sie plötzlich an zu reden. Und wissen Sie was?«
»Nein.«
»Sie spricht ausgezeichnet Englisch.«
Ein bärtiger Mann mit einem Ring im Ohr öffnete uns die Tür zum Shangri-la , und Jillian Dunne begrüßte ihn mit Küsschen auf beide Wangen. Er schloss die Tür hinter uns ab.
Das Café bestand aus einem kleinen Raum mit Tischen aus alten Surfbrettern und Wänden, die mit psychedelischen Mustern verziert waren. Jillian Dunne ging durch einen Perlenvorhang hinter der Bar. Ich folgte ihr durch eine kleine Küche und eine schmale Treppe hinauf, von der aus sie in ein Zimmer abbog.
Auf einem Stuhl hinter einem Tisch saß eine schwarze Frau, die weite, grüne Baumwollsachen trug. Die zarten, goldfarbenen Ballerinas an ihren Füßen wirkten zu klein und deplatziert.
Ich ging einen Schritt auf sie zu und streckte ihr die Hand entgegen.
»Ich heiße Ally Cornwall. Sie wollten mich treffen?«
Die Frau lächelte schwach. Sie war knapp unter dreißig, möglicherweise auch jünger.
»Ich kann meinen Namen nicht sagen«, begrüßte sie mich und schüttelte meine Hand. Sie sprach Pidgin English, genau wie James in dem Fernsehbeitrag.
Ich setzte mich auf den zweiten Holzstuhl. Das Zimmer war eng, ein fensterloser Verschlag von höchstens acht Quadratmetern. An der Wand stapelten sich einige Kartons und es roch nach kaltem Aschenbecher.
»Sie riskiert, nach Hause zurückgeschickt zu werden, wenn jemand erfährt, wer sie ist«, erklärte Jillian Dunne, die in der Tür stehen geblieben war. »Deshalb sind sie immer sehr vorsichtig damit, irgendwelche Details preiszugeben.«
Die schwarze Frau umschloss meine Hand mit ihren Händen.
»Glauben Sie diesem Mann nicht«, sagte sie. »Er war nicht auf dem Boot.«
»Welcher Mann?« Ich spürte, wie mein Herz pochte.
»Der Mann im Fernsehen. Der sich James nennt.«
»Ein Freund von mir hat ihr einen Fernseher besorgt«, warf Jillian Dunne ein.
Ich wandte meinen Blick nicht von der anderen Frau.
»Er sagt, dass er mit auf dem Boot war«, flüsterte sie. »Aber er lügt.«
»Sind Sie sicher?«, fragte ich atemlos.
Die Frau strich sich mit der Hand über die Stirn und nickte.
»Nicht auf diesem Boot«, sagte sie mit Nachdruck.
»Das Gummiboot, das unterging?« Ich lehnte mich zurück und betrachtete die Frau. Um das eine Auge herum war ihre Haut verfärbt, vielleicht von einem Schlag. »Und das wissen Sie, weil Sieselbst auf dem Boot waren?«, fragte ich langsam. »In der Nacht zum Sonntag vor zwei Wochen. Haben Sie versucht, die Meerenge zu überqueren?«
Die Frau senkte ihren Kopf und schloss die Augen.
»Sie müssen verstehen, dass es schwer für sie ist ...«, sagte Jillian Dunne und trat einen Schritt in das Zimmer.
»Ruhe.« Ich hob die Hand.
Im Untergeschoss surrte ein Ventilator. Der Bärtige klirrte mit Gläsern, und der Wind rüttelte an dem Blechdach und den Balkons. Das war alles, was man hörte.
»Sie warfen uns ins Wasser«, hauchte die Frau leise, als atmete sie aus. »Sie warfen uns hinein, um uns umzubringen.« Sie hatte noch immer die Augen geschlossen, und ich ahnte, was sie hinter den dunklen Augenlidern sah: die Wellen und das schwarze Meer und Menschen, die mit den Armen ruderten und strampelten. Mein Magen schnürte sich zusammen.
»Aber Sie haben es geschafft«, sagte ich mit einer so festen Stimme wie möglich. »Sie konnten sich an Land retten.«
Die Frau öffnete die Augen, ein schwarzer Abgrund.
»Ein Fischer hat mich aus dem Meer gezogen, wie einen Fisch.« Ich sah, wie sich ihre Gesichtsmuskeln unter der Haut spannten.
»Und Patrick Cornwall?«, fragte ich vorsichtig. »Er war nicht mit auf dem Boot?«
»Nein, er war nicht dabei.«
Ich lehnte mich über den Tisch und nahm ihre Hände.
»Sind Sie ganz sicher?«
»Drei Nächte lang saßen wir in einem Versteck und warteten«, sagte sie und richtete ihren Blick an die Wand. Dort hing ein Plakat von einem Konzert mit afrikanischen Musikern.
»Sie befahlen uns zu schweigen«, fuhr sie fort. »Wir durften nicht darüber sprechen, wer wir waren, woher wir kamen, wo wir hinwollten. In der ersten Nacht taten wir, was uns gesagt wurde. Wir schwiegen. In der zweiten Nacht schwiegen wir auch. Als ein Mädchen anfing zu weinen, schlug eine
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