Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Toedliche Hoffnung

Toedliche Hoffnung

Titel: Toedliche Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tove Alsterdal
Vom Netzwerk:
der Frauen nach ihm. Ich hörte den Schlag. ›Schweig‹, sagte sie, ›das Heulen hilft dir nicht,nach Europa zu kommen‹. In der dritten Nacht, als die Dunkelheit so dicht war, dass wir unsere Gesichter kaum sehen konnten, begann einer von uns, seinen Namen zu flüstern. ›Ich heiße Peter‹, sagte er. ›Peter Ohenhen‹. Die anderen zischten, er solle den Mund halten, er werde die Schlepper anlocken, er könne sich Schläge einhandeln, weil er die Regeln brach, sie würden uns alle verprügeln. Doch dann flüsterte eine weitere von uns. ›Ich heiße Wisdom, Wisdom Okitola.‹ Und schließlich sagte einer nach dem anderen seinen Namen, erst leise, sodass ihn nur die, die am nächsten saßen, hören konnten, dann lauter, die Namen schwebten wie Geister durch den Raum. Teyo, Zaynab, Catherine, Toyin ... Wir sagten nicht, wo wir herkamen oder wo wir hinwollten, nur den Namen. Ein Junge begann, von seiner Reise zu berichten, ›sei still‹, sagten die anderen. ›Wir sind alle gereist, und deine Reise ist nichts anderes als die eines jeden anderen.‹ Dann sagte keiner mehr etwas, doch als die Nacht um war, wussten wir alle die Namen der anderen. ›Ich heiße Mary Kwara‹, flüsterte ich.«
    Sie trocknete sich die Augen mit dem Ärmel und richtete ihren Blick erst auf mich, dann auf Jillian Dunne, die noch immer an die Wand gelehnt dastand.
    »Ich heiße Mary Kwara.«
    »Wie viele wart ihr?«, fragte ich leise.
    »Zwölf. Im Boot waren wir zu zwölft, neben den verrückten Männern. Sie waren zu dritt. Daran musste ich die ganze Zeit denken. Es waren nur drei. Eigentlich hätten sie im Meer liegen müssen.«
    Die Frau zog die Knie ans Kinn und schlang ihre Arme darum. Das eine Bein war mit einer Bandage verbunden. »Genau so saßen wir, zusammengezwängt.« Ich starrte auf die goldenen Schuhe an ihren Füßen, die nicht aussahen, als gehörten sie zum Rest ihres Körpers. »Er hieß Taye, Taye Lawal, er, der mir gegenübersaß, er war noch ein Junge. Ich flüsterte alle Namen vor mich hin, einen nach dem anderen, während wir auf dem Meer dahinschaukelten.«
    Mary Kwara blickte zur Decke hinauf und schwieg, dann ließ sie ihre Beine wieder auf den Boden sinken.
    »Kein Patrick Cornwall«, sagte sie und sah mich an. »Es gab keinen Amerikaner.«
    »Aber es muss dunkel gewesen sein. Hat er vielleicht einen anderen Namen gesagt?«
    »Die Augen gewöhnen sich an die Dunkelheit«, antwortete die Frau mit fester Stimme. »Ich habe das Bild im Fernsehen gesehen. Er war nicht dabei.«
    Ich schlug mit der Hand auf den Tisch und stand auf.
    »Ich wusste es«, sagte ich und drehte mich in dem engen Raum einmal um die eigene Achse, setzte mich erneut auf den Stuhl und fixierte Mary Kwara.
    »Das müssen Sie der Polizei erzählen. Das verstehen Sie doch?«
    Die Frau schüttelte den Kopf, rutschte ein Stück nach hinten.
    »Keine Polizei«, flüsterte sie.
    Ich beugte mich zu ihr vor.
    »Mein Mann wurde ermordet«, sagte ich. »Er wollte solche Schurken wie diese Männer, die euch ins Wasser geworfen haben, drankriegen. Wollen Sie denn nicht, dass die ins Gefängnis kommen?«
    Mary Kwara hielt sich die Hände vors Gesicht.
    »Keine Polizei«, wiederholte sie.
    Jillian Dunne ging zu der Frau und legte eine Hand auf ihre Schulter.
    »Es reicht jetzt«, sagte sie.
    »Lassen Sie sie selbst sprechen«, zischte ich.
    »Sie kommt aus Nigeria«, sagte Jillian Dunne. »Wenn sie sich offenbart, wird sie zurückgeschickt. Sie hat kein Recht darauf, in Spanien zu bleiben und auch in keinem anderen EU-Land.«
    Ich versuchte erneut, Mary Kwaras Blick einzufangen.
    »Sie sind die Einzige, die das hier weiß«, sagte ich. »Vermutlich sind Sie die einzige Überlebende von allen Passagieren des Bootes.«
    Ich sah, wie tief in den schwarzen Augen etwas erlosch, als würde es abgeschaltet.
    »Sie sind die Einzige, die etwas erzählen kann. Diese Schurkenkommen ungeschoren davon. Sie haben meinen Mann ermordet, verstehen Sie?«
    Ich sah von der schwarzen Frau zur weißen, die noch immer beschützend ihre Hand auf die Schulter der anderen legte.
    »Sie braucht doch nicht zu sagen, wo sie herkommt«, flehte ich Jillian Dunne an. »Sie muss nur erzählen, was sie mir erzählt hat.«
    »Und wer sollte mir glauben?«, entgegnete Mary Kwara und stand auf. »Wie soll jemand entscheiden können, was die Wahrheit ist, wenn ich in einer anderen Angelegenheit lüge?«
    Die grünen Kleider, die um ihren Körper wallten, sahen aus, als stammten sie aus

Weitere Kostenlose Bücher