Toedliche Hoffnung
Mädchen aus Togo, das von zwei Pariser Familien als Sklavin gehalten wurde, bis die Nachbarn enthüllten, was vor sich ging. Das Gericht hatte die Familien dazu verurteilt, dem Mädchen im Nachhinein seinen Lohn auszuzahlen, dreißigtausend Euro für vier Jahre Sklavenarbeit, sieben Tage die Woche, fünfzehn Stunden am Tag. Das entsprach einem Stundenlohn von knapp einem Euro.
Die Anwältin, die das Mädchen vertrat, hieß Sarah Rachid. Ichwusste, dass ich den Namen schon einmal gesehen hatte: mit ordentlicher Handschrift in Patricks Notizbuch verzeichnet.
»Es ist schön, dass sie Genugtuung erfahren hat«, sagte Sarah Rachid. »Aber es gibt noch viel mehr Menschen, die dasselbe Schicksal teilen, und an die meisten von ihnen kommen wir nie heran.«
Die Suche nach dem Namen der Anwältin ergab elf Treffer, die fast ausschließlich von dem Mädchen aus Togo handelten. Eines der Suchergebnisse erwähnte das Anwaltsbüro, in dem Sarah Rachid arbeitete. Auf der Homepage des Büros stand eine Kontaktadresse. Ich mailte ihr gleich; schrieb, dass ich einige Fragen zu Patrick Cornwall hätte, und unterzeichnete mit Alena Sarkanova, ohne weitere Erklärung.
Meine Internetzeit war fast abgelaufen, ich ging zur Kasse und kaufte eine weitere Zeitstunde sowie eine Cola. Mein Magen schien inzwischen ein bisschen leerer. Als ich das Taillevent verließ, hatte ich mich wie eine Stopfgans gefühlt.
Der Fall mit dem Mädchen aus Togo war drei Jahre alt, also konnte es sich kaum um das Hauptaugenmerk in Patricks Reportage handeln.
Ich setzte mich erneut vor den Bildschirm und massierte meine Schläfen.
Irgendwo zwischen alledem hatte Patrick seine Geschichte entdeckt. Einen Faden zum Aufwickeln, der zu etwas Größerem hinführte, zu etwas, über das bisher noch nicht berichtet worden war. Ein neuer Zugang, ein eigener Angriffspunkt, hatte Richard Evans gesagt. Die investigative Reportage des Jahres, hatte Patrick ins Telefon genuschelt.
Ich dachte an die Ausrufezeichen in seinem Notizbuch, die Ziffern. Den Preis eines Sklaven.
Ich gab Sklave und einige der Ziffern in Suchfenster ein und fand vierzehn präzise Treffer.
Es gab mehr Sklaven denn je, obwohl Sklavenarbeit in allen Ländern der Welt gesetzlich verboten war. Tatsächlich war ihr Preis noch nie so niedrig gewesen, durchschnittlich neunzig Dollar.Schon für vierzig Dollar konnte man einen guten Sklaven aus Mali ergattern. Die Summen stimmten mit Patricks Notizen überein.
In den 1880er Jahren, der Zeit des transatlantischen Sklavenhandels nach Amerika, kostete ein Sklave eintausend Dollar. Das entsprach im heutigen Geldwert einer Summe von achtunddreißigtausend Dollar und bedeutete, dass man heute viertausend Sklaven kaufen konnte – zum Preis eines einzigen Sklaven in einer Zeit, die als die dunkelste Epoche der Menschheit galt.
Ich scrollte weiter nach unten, bis ich eine Erklärung für die übrigen Ziffern in Patricks Beispiel gefunden hatte.
Die Zahl von siebenundzwanzig Millionen war eine Schätzung der aktuellen Anzahl von Sklaven weltweit. Patrick hatte sie den zwölf Millionen Sklaven gegenübergestellt, die über den Atlantik gebracht worden waren – im Laufe von dreihundert Jahren. Im neunzehnten Jahrhundert war die Sklaverei völlig legal, heute war sie ein Teil der schwarzen Wirtschaft, ein kriminelles Geschäft. Aber es gab sie weiterhin, und von staatlicher Seite schien man nicht viel zu unternehmen, um sie zu unterbinden.
Ich schloss die Augen und rief mir die Seiten aus dem Notizbuch in Erinnerung. Die Boote!, hatte dort gestanden.
Ich gab Boote ein, zusammen mit einigen Varianten der vorausgegangenen Suchbegriffe, und auf dem Bildschirm bauten sich neue Artikel auf. Es nahm kein Ende, aber ich hatte mehrere Stunden totzuschlagen, also konnte ich mich genauso gut ausführlich damit beschäftigen.
In den letzten Jahren waren Tausende Flüchtlinge im Meer zwischen Afrika und Europa ertrunken. Erst letztes Wochenende hatte man vor den kanarischen Inseln elf Tote in einem Fischerboot gefunden. Vermutlich waren sie an Flüssigkeitsmangel und Unterkühlung gestorben. In derselben Woche wurden dreihundertfünfzig Menschen von einem Schiff gerettet, das vor der Insel Lampedusa im Mittelmeer versank. Wie viele Flüchtlinge bei dem Unglück ertranken, war unbekannt. Offizielle Passagierlisten gab es nicht; aber einer der Migranten erzählte, dass zwei schwangereFrauen gestorben und über Bord geworfen worden seien. In einem verlinkten Artikel war zu
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