Toedliche Hoffnung
grande tragédie, une catastrophe« und versank noch tiefer über ihrem Bierglas.
Ein Geschmack von verbrauchter, verrauchter Luft machte sich in meinem Mund breit. Patrick hatte am Dienstag aus dem Hotel ausgecheckt. Es brannte in der Nacht auf Samstag. Er musste sich in ein Taxi geworfen haben und quer durch die Stadt gefahren sein, vielleicht, weil er glaubte, diese armen Menschen retten zu können. Aber am Tag darauf hatte er nachweislich noch gelebt. Dem Hotelpersonal zufolge war er erst drei Tage später abgereist.
Ich muss die Lücken füllen, dachte ich. Verstehen, was passiert ist, um zu wissen, wohin er reiste. Warum er nicht nach Hause kam.
In einem Moment der Verwirrung glaubte ich, dass es mehrere Brände gegeben hatte. Es war nicht derselbe Brand. Dieser warnicht der, den er überlebt hatte. Ich hustete und spürte den Rauchgeschmack tief unten im Hals.
»Wann ist das genau passiert?«, fragte ich den Mann hinter dem Tresen.
»Es ist erst zwei Wochen her. Ja, an einem Freitag.« Er verschwand durch die Schwingtüren in die Küche.
Ich atmete erleichtert auf und schämte mich schon im nächsten Moment. Immerhin waren siebzehn Menschen dort verbrannt. Von meinem Platz am Tresen aus konnte ich einen Teil der ausgefransten, schwarzen Silhouette auf der anderen Straßenseite erkennen. Es war kurz nach zwölf.
»Toilette?«, fragte ich die Frau neben mir. Die Alte hob ihren Kopf ein winziges Stück und wies mir mit zitternder Hand den Weg, ein Zipfel roter Spitze ragte aus ihrem Pulloverärmel hervor, sie trug mindestens drei Schichten Kleidung. Vielleicht war sie nicht viel älter als fünfzig, dachte ich, aber sie hatte keine Zähne mehr, und ein Mensch ohne Gebiss sieht immer verloren aus.
Auf der Toilette wischte ich mir einen schwarzen Rußstreifen ab, der quer über meine Stirn verlief. Dann holte ich mein Schminktäschchen hervor.
Nach dem dritten Gang hatte ich den Kellnern noch immer nicht mehr entlocken können als »Schmeckt es Ihnen?« und »Sind Sie zum ersten Mal hier?«.
Ein ganzer Schwarm von ihnen flatterte um meinen Tisch, nach einer strengen Hierarchie unterschieden, die durch die Farben ihrer Sakkos, Krawatten oder fehlenden Krawatten gekennzeichnet war. Am untersten Ende der Hackordnung standen einige Jungen im Teenageralter in beigefarbenen Hemden. Zu ihren Aufgaben gehörte es unter anderem, diskret mit einer silbernen Bürste und einem Schäufelchen die Brotkrümel zusammenzukehren, die ich auf der Tischdecke verstreute.
»Es muss Spaß machen, hier zu arbeiten«, sagte ich zu einem von ihnen, dessen Gesicht mit Pickeln übersät war. Er errötete.
»Ein Bekannter von mir war vor zwei Wochen hier, vielleicht hast du ihn zufällig bedient?«
Der Junge lächelte, den Blick starr auf die Tischdecke gerichtet, fegte den letzten Krümel weg und verschwand eilig. Ich trank einen Schluck Mineralwasser und versuchte zu sehen, was Patrick gesehen hatte.
Der Speisesaal des Taillevent war nicht viel größer als zwei hintereinanderliegende Wohnzimmer. Mitten im Raum stand eine orangefarbene Orchidee in einer Glasschale, davon abgesehen war die Einrichtung ganz in braun und beige gehalten. Die Farben der Macht, dachte ich. In einem Bühnenbild für King Lear hatte ich einmal ausschließlich braune Nuancen verwendet und musste sehr für meine Deutung kämpfen, denn das Klischee wollte es, ihn in Gold und Samtrot zu hüllen, doch ich meinte, dass sich die absolute Macht in Braun kleidete, wie in Nazideutschland, wie im alten Osteuropa.
Der weiche Teppich schluckte einen Großteil der Gespräche an den anderen Tischen. Falls Patrick hierhergekommen war, um andere zu belauschen, konnte er nicht viel mitbekommen haben.
»Ich habe gehört, dass unter Ihren Gäste viele Politiker sind«, versuchte ich mich an einem Kellner in roter Jacke, der mir eine Skulptur aus Birnensorbet zum Nachtisch servierte. Zu diesem Zeitpunkt war ich bereits so satt, dass ich am liebsten auf die Toilette gegangen wäre und mir zwei Finger in den Hals gesteckt hätte. Ich war mir nicht sicher, was ich alles gegessen hatte; jedenfalls waren es viele Gänge mit unglaublich langen Namen gewesen. »Ist es üblich, dass sie hier Interviews geben?«
»Wir haben viele treue Stammgäste«, erwiderte er und entfloh mit einem milden Lächeln.
Die Elite, hatte Olivier im Hotel gesagt.
Ich ließ meinen Blick an den Tischen entlangwandern, ein Anzug nach dem anderen, ergraute Haare, blanke Schädel. Die einzigen Frauen
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