Toedliche Hoffnung
Bildschirm zu sehen, bis das elektrische Brummen aufhörte und er schwarz wurde.
Zwölf der Überlebenden sagten aus, das Baby sei tot gewesen, als man es ins Meer warf. Der dreizehnte gab an, dass es noch gelebt hatte.
Der Picklige kam als einer der letzten heraus, gemeinsam mit einem zweiten jungen Mann, der ebenfalls ein beiges Sakko getragen hatte. Jetzt waren sie in Zivil gekleidet, und wenn sie mir in der Stadt begegnet wären, hätte ich sie wahrscheinlich nicht wiedererkannt.
Sie gingen den Hügel hinab und bogen links auf die Avenue Friedland ab. Ich erhob mich von der Parkbank, auf der ich gesessen hatte, mit Blick auf den Eingang des Restaurants. Der Arc de Triomphe glitzerte vor uns, als ich ihnen in einiger Entfernung Richtung Champs-Elysées folgte.
Wenn ich den Pickligen allein erwischen könnte, würde ich ihn garantiert zum Reden bringen. Schnell überquerte ich die Straße, um sie nicht in der Menschenmenge zu verlieren, und sah ihre beiden Rücken eine Rolltreppe hinab verschwinden, zur Métro.
Um mich herum wimmelte es von Menschen. Alle anderen schaffen es auch, dachte ich. Sie tun es jeden Tag.
Ich betrat die Rolltreppe und ließ mich in das dunkle Loch transportieren, in die Tunnel hinein, während ich tief durch Mund und Nase atmete, um nicht panisch zu werden.
Ich war der Meinung, dass nur phantasielose Menschen mit der U-Bahn fuhren. Diejenigen, die sich nicht vorstellen können, waspassiert, wenn das Licht ausfällt, der Alarm losgeht und Tausende von Menschen gleichzeitig die Tunnel verlassen wollen.
Die Decke wölbte sich über meinem Kopf, die Wände waren mit orangefarbenem Mosaik und Plakaten bedeckt. Menschen eilten an mir vorüber, doch ich hatte nur Augen für eine grüne Jacke und einen aschblonden Haarschopf, der sich im Nacken leicht lockte. Er ging ungefähr zwanzig Meter vor mir. Weitere Tunnel, weiße Kacheln. Diese Stadt ist von unterirdischen Gängen durchlöchert, dachte ich, eines Tages wird sie in den Boden einbrechen.
Ich wühlte eines der Tickets hervor, das ich zu einem früheren Zeitpunkt gekauft hatte, sie waren sowohl in Bussen als auch in der Métro gültig, aber ich hatte nicht geplant, sie für etwas anderes als Busse zu nutzen. Ich steckte den Fahrschein in den Automaten, betete still und tatsächlich, er schoss auf der anderen Seite wieder heraus, und die Schranke öffnete sich.
Der Picklige verabschiedete sich per Handschlag von seinem Kollegen und ging alleine weiter zur Linie 6. Ich folgte ihm und hoffte, dass meine Persönlichkeitsanalyse zutraf. Jung, bleich, unterwürfig, mit schwerer Akne; der Archetyp eines leicht zu überlistenden Jungen mit schwachem Selbstbewusstsein.
Unten auf dem Bahnsteig schlug mir ein lauer Wind entgegen, der stickig war und verbrannt roch, als hätte jemand einen Kaugummi angezündet. Die Bahn fuhr ratternd ein und ich sprang genau in dem Moment hinein, als irgendwo ein Tuten wie aus einem Nebelhorn erklang und sich die Türen schlossen.
»Aber dich kenne ich doch!«, rief ich aus und setzte mich ihm gegenüber ans Fenster. »Du kellnerst doch im Taillevent , du hast mich heute Mittag bedient.«
»Ich bin ja eigentlich kein richtiger Kellner«, antwortete er und sah beschämt weg. »Ich bin nur ein Gehilfe.«
»Also ich habe jedenfalls keinen Unterschied bemerkt«, sagte ich. »Es muss großartig sein, in einem so feinen Restaurant zu arbeiten.«
Ich musste mich vorbeugen, um meinen Schwindel zu dämpfen. Meine Knie stießen gegen seine, der Abstand zwischen denSitzen war gering. Er hielt eine Tüte mit Süßigkeiten auf seinem Schoß.
»Es ist allerdings auch ziemlich anstrengend«, sagte er und sah aus dem Fenster. Ein schwarzer, mit Graffiti übersäter Tunnel, Leitungen, die an den Steinwänden entlangliefen.
»Darf ich so einen haben?«, fragte ich und zeigte auf die Tüte. Seine Wangen röteten sich etwas. Ich achtete darauf, seine Hand zu streifen, als ich ein gelbes Schaumkrokodil herausangelte. »In New York ist es genauso«, sagte ich, »immer sind es die Gehilfen, die die wirklich harte Arbeit machen.«
»Es ist schlimmer geworden, seit Michelin den Stern weggenommen hat«, sagte er. »Jetzt muss alles ganz perfekt sein; als ob es unsere Schuld wäre, dass wir den Stern verloren haben.«
Der Zug wackelte und bremste kreischend. Die einzelnen Stationen konnten nicht mehr als eine Minute Fahrzeit voneinander entfernt liegen, schätzte ich.
»Du sprichst wirklich gut Englisch«, zwitscherte ich,
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