Toedliche Hoffnung
eine Idee und schrieb eine Mail an Benji, fügte die Links zu den achtzehn Artikeln über Alain Thery auf Französisch ein und bat ihn um eine Übersetzung. Keine wortgenaue, schrieb ich, es ginge mir lediglich darum zu wissen, ob sie etwas anderes enthielten als allgemein gehaltene Lobhudeleien.
Ich stand auf und ging ins Badezimmer, holte mir in einem Zahnputzbecher Wasser. Dann fiel mir ein, dass ich noch immer die drei Schokoladentrüffel aus dem Taillevent in meiner Tasche hatte. Sie klebten ein wenig aneinander und schmeckten nach kräftigem Kakao und zarter Vanille.
Dann besuchte ich die Website von Lugus , Alain Therys Firma. Sie war ganz in blau gehalten, mit Bildern von Himmeln und Wolken und einem schwebenden Molekül, das die Geschäftsidee des Unternehmens symbolisieren sollte. Am linken Rand entdeckte ich vier kleine Flaggen. Ich klickte auf die englische.
»Unser Motto lautet: Zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen«, war ganz oben auf der Seite zu lesen.
Und anschließend: »Dank einer Kombination aus technischer Kompetenz, Strategieentwicklung und Rahmenanalyse ermöglichen wir eine Erneuerung Ihres Unternehmens, die den Anforderungen eines dynamischen Umfelds entspricht.«
Was für ätzende Floskeln, dachte ich.
Ich surfte planlos weiter auf der Website, ohne zu begreifen, was Patrick an diesem Mann interessierte. Oder war es ihm gar nicht um Thery gegangen? Vielleicht war es so gewesen, wie der picklige Restaurantgehilfe erzählt hatte – sie hatten ihn einfach so für einen Paparazzo gehalten.
Aber die Frau im Auto hatte Alain Therys Namen ebenfalls erwähnt. Ich klickte auf den Firmennamen und öffnete dabei ein Bild von einer Skulptur mit drei Gesichtern und einem Text, in dem erläutert wurde, dass Lugus der Name eines gallischen Gottes war, der über den Handel wachte, außerdem als Gott der Reise galt und die Künste erfunden hatte. Typisch Unternehmensberater, sie wählten immer solche Namen mit einer vorgeblich tiefen Bedeutung, die gleichzeitig rein gar nichts aussagten.
»Sie haben die Wahl: eine neue Zukunft zu gestalten oder auf das Vergangene zu reagieren.«
Ich stand auf und räkelte mich so sehr, dass es in meinen Schultergelenken knackte.
In seiner Reportage über die New Economy hatte sich Patrickmit ähnlichen Dingen beschäftigt. Meistens hatte er die Verlierer thematisiert, Angestellte, deren Aufgabenbereiche verschwunden oder nach Indien verlagert worden waren. Zu den Gewinnern gehörten dagegen die Berater jeglicher Couleur, die Makler und Zwischenhändler. Menschen, die eigentlich nichts produzierten. Sie vermittelten lediglich – Information, Wissen, Geld, Dienste, Waren und Immobilien. Sie schufen keine Werte; dennoch war genau darin das große Geld zu finden. Patrick hatte einen Autor zitiert, ich hatte vage in Erinnerung, dass er Robert Sennett hieß, oder Richard. Jedenfalls hatte dieser Mann ein Buch darüber geschrieben, wie die New Economy die Moral und Denkmuster der Menschen veränderte, sodass alles, was früher lebenslang galt, plötzlich kurzfristig wurde und die konstanten Werte sich verflüchtigten.
Über solche Themen schrieb Patrick. Ich schimpfte innerlich über den pickligen Jungen. Heimlich Promis fotografieren? Das wäre Patrick niemals eingefallen. Aber hatten sie wirklich geglaubt, er wäre ein Paparazzo? Dann musste er im Restaurant eine Kamera hervorgeholt haben. Und warum? Um heimlich Alain Thery zu fotografieren!
Ich schlug mit der Hand auf den Tisch. Natürlich. Die Fotos, die langweiligen, unscharfen Fotos, die Patrick mir aus Paris geschickt hatte.
Die CD lag zwischen diversen Rechnungen und Bühnenbildskizzen, die ich in mein Gepäck gestopft hatte. Ich schob sie in den Laptop, und während ich darauf wartete, dass er die Bilder hochlud, öffnete ich nacheinander die französischen Artikel über Alain Thery.
Im fünften fand ich Bilder von ihm.
Ich blieb eine Weile vor ihnen sitzen und schaute mir den Mann genau an: Er hatte eine breite Nase und eine Brille mit Drahtgestell, helle Augen, die fast weiß aussahen, was allerdings auch an der Belichtung liegen konnte. Die Fotos waren direkt unter dem Krawattenknoten abgeschnitten. Er sah nicht schlecht aus, war aber auch nicht hübsch, er war der Junge von nebenan, der Mannam Bankschalter, ein Typ, wie sie auf der Wallstreet zu Dutzenden an einem vorbeiliefen.
Und er wirkte auf unheimliche Weise bekannt.
Patricks Bilder tauchten nacheinander auf dem Bildschirm auf, und es bestand
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