Toedliche Hoffnung
erledige meine Arbeit, das ist alles.«
Sarah Rachid starrte angestrengt in ihren Eintopf, während sie aß.
»Ich verstehe genau, was Sie meinen«, sagte ich, »ich heiße ja Sarkanova, und früher fragten mich auch immer alle, woher ich eigentlich komme.«
Sarah Rachid sah mich einige Sekunden lang schweigend an.
»Und jetzt haben sie plötzlich damit aufgehört?«
»Bitte?«
»Sie sagten, früher hätten die Leute gefragt.«
Ich hustete so sehr, dass das Gemüse beinahe wieder seinen Weg nach draußen gefunden hätte.
Das war einer der Vorteile gewesen, die mit meiner Heirat einhergegangen waren. Als ich begann, mich als Ally Cornwall vorzustellen, wurde ich mit ganz neuen Fragen konfrontiert, wieetwa, in welchem Stadtteil von New York ich aufgewachsen sei und was ich arbeitete.
»Wahrscheinlich reagiere ich einfach nicht mehr so sehr darauf«, sagte ich und sah durch die Fensterscheibe nach draußen. Der Platz war stilvoll angelegt und sauber, mit Reihen von sprühenden Fontänen. Drei struppige Tauben waren damit beschäftigt, ihre Flügel in dem Wasser am Grund des Brunnens zu waschen.
Auf irgendeine Weise kann man sich jedem Menschen annähern, dachte ich. Diese Frau war so unzugänglich wie ein Abrissgrundstück in Downtown Manhattan. Ich versuchte mir vorzustellen, wie Patrick sie wohl zum Reden gebracht hatte. Mit seinem Ernst, dachte ich, und seinem bedingungslosen Engagement; mit dieser Fähigkeit, seinem Gegenüber das Gefühl zu geben, wichtig zu sein, wahrgenommen zu werden. Mein Magen krampfte sich zusammen.
»Patrick hat noch keine fertigen Texte geliefert«, sagte ich, »aber ich verspreche, alles zu kontrollieren und dafür zu sorgen, dass Ihr Name nicht erwähnt wird. Normalerweise bricht er solche Versprechen nicht.«
Der Kellner kam zu unserem Tisch, und ich schob den Kanincheneintopf beiseite und bat um einen doppelten Espresso. Sarah Rachid bestellte Tee.
»Ich habe ihm mit einer Reihe Fakten darüber geholfen, wie unser Rechtssystem in solchen Fällen funktioniert, das war alles«, sagte sie, als der Kellner wieder gegangen war. »Die Rechtslage gestaltet sich natürlich kompliziert, wenn es um Menschen ohne Papiere geht.«
»Inwiefern?«
Sie nahm einen Schluck Mineralwasser.
»Ich kann Ihnen dazu keine einfachen Antworten geben. Dasselbe habe ich ihm auch gesagt. Es kommt darauf an, um was für einen Fall es geht, unter welchen Bedingungen die Person hier lebt, ob ein Einkommen und der Lebensunterhalt in irgendeiner Weise garantiert sind und ob die betreffende Person – abgesehenvon ihrem illegalen Aufenthalt im Land – straffällig geworden ist. Die Gesetze ändern sich außerdem, insbesondere unter dieser Regierung.«
Ich kramte Papier und Stift aus meiner Tasche hervor und begann, mir Notizen zu machen, um die Rolle derjenigen zu erfüllen, für die ich mich ausgegeben hatte. Wenn sie über die Rechtsprechung reden durfte, sprudelten die Worte nur so aus ihr heraus. Im Allgemeinen musste man mit einer Ausweisung rechnen, wenn man sich illegal im Land aufhielt. Wer entdeckt wurde, wurde sofort festgenommen und in ein garde à vue gebracht, eine Art Untersuchungsgefängnis, von denen eines neben dem Justizpalast auf der Île de la Cité lag. Wenn der Festgenommene einen gültigen Pass vorweisen konnte oder jemand dafür bürgte, dass er eine Arbeit und Unterkunft hatte, wurde er vorläufig freigelassen – andernfalls mit sofortiger Wirkung abgeschoben. Wenn es Schwierigkeiten bereitete, die Identität festzustellen, durfte man den illegalen Immigranten laut einer neuen EU-Regel bis zu 18 Monate lang einsperren. Das achte Bureau bei der Préfecture de Police war auf diesen Bereich spezialisiert.
»Sie können natürlich jederzeit versuchen, mit denen zu sprechen«, sagte Sarah Rachid und faltete ihre Serviette zusammen, »aber ich habe meine Zweifel, dass man Ihnen dort auf Ihre Fragen antworten wird.«
»Hat Patrick gesagt, über welche Menschen er schrieb?«, fragte ich und versuchte ein Lächeln. »Es mag merkwürdig erscheinen, dass wir nichts darüber wissen. Früher konnten wir stundenlang zusammensitzen und die unterschiedlichen Aufhänger für eine Reportage diskutieren. Für so etwas ist heute keine Zeit mehr. Und Patrick ist ja Freelancer und geht seine eigenen Wege.«
Die Anwältin zog ihre Augenbrauen hoch, nahm einen Zahnstocher aus einem Etui und nestelte sorgfältig einen Fleischfetzen zwischen ihren Zähnen heraus.
»Er hat mich vor knapp vier Wochen
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