Toedliche Hoffnung
Prozent Trinkgeld.
»Grüßen Sie Arnaud von mir«, sagte sie, stand auf und ging.
Ich sah sie quer durch die Tische und Stühle auf dem Platz gehen und hinter der nächsten Ecke auf dem Boulevard Saint-Michel verschwinden. Die Sonne war hervorgekommen, und die Menschen in den Cafés hatten ihre Jacken über die Stuhllehnen gehängt.
Auf dem Weg aus dem Restaurant rief ich Arnaud Rachid an. Verglichen mit seiner Schwester war er ein Muster an Freundlichkeit.
»Nein, wie nett«, sagte er, »wie geht es Patrick denn, ich habe schon eine Weile nichts mehr von ihm gehört?«
Ich zitterte vor Freude. Endlich einmal jemand, der etwas wusste und reden wollte.
»Wann hatten Sie denn das letzte Mal Kontakt?«, fragte ich.
»Tja, wie lange mag das her sein, ein paar Wochen vielleicht? Er hat Paris doch inzwischen verlassen?«
Ich schluckte und schlug vor, dass wir uns trafen. Er gab mir eine Wegbeschreibung zu seinem Büro in der Rue Charlot, die im Marais lag, und sagte, er sei ab achtzehn Uhr dort.
Ich legte auf, und plötzlich wirkte die Stadt um mich herum heller, die Atmosphäre geradezu freundlich. Die Tauben hatten ihr Bad beendet, sie saßen am Rand des Brunnens und trockneten ihre Flügel. Es war erst Viertel nach zwei. Ich hatte noch fast vier Stunden totzuschlagen.
Die Préfecture de Police lag auf der Insel mitten in der Seine, die die Stadt in zwei Hälften teilte. Die alten steinernen Bauten waren so riesig, dass das Tageslicht kaum den Boden erreichte. Mir kam der Gedanke, dass die Straße mehrere hundert Jahre lang im Halbdunkel gelegen hatte und die Dämmerung mit dem Herzen der Stadt verwoben war.
Immerhin bin ich nicht auf dem Weg zum Schafott, dachte ich und bog an den 30 Meter hohen Eisentoren des Justizpalastes rechts ab. Unmittelbar daneben lagen die Kerker der Conciergerie, wo es während der französischen Revolution Todesurteile gehagelt hatte.
An diesem Morgen war ich mit einem Traum auf der Netzhaut aufgewacht. Ich war durch weiße Korridore geirrt und hatte Patrick gesucht, doch niemand konnte mir sagen, wo er war.
Falls er wirklich bewusstlos in irgendeinem Krankenhaus lag, musste die Polizei das eigentlich wissen. Dafür brauchte ich nichts über seinen Job zu verraten.
»Sorry, no english«, sagte die Frau an der Rezeption des Polizeipräsidiums. Ihr Haar war so stark in Form gesprüht, dass es einer Skulptur glich.
»Aber es muss doch irgendjemanden hier geben, der Englisch spricht?«
Das war nicht der Fall. Das Präsidium lag nur eine Straßenecke von Notre-Dame entfernt, in einem Gebiet, wo es von Touristen nur so wimmelte, und sie waren nicht in der Lage, jemanden einzustellen, der Englisch sprach. Am Ende trat ein Mann aus der Schlange hinter mir und stellte sich als Dolmetscher zur Verfügung. Ich erklärte, dass es um eine vermisste Person ginge. Er trat einen Schritt näher und drückte sich an meinen Rücken, während er übersetzte. Die Frau an der Rezeption reichte mir einen Zettel mit einer Telefonnummer. Hinter mir keuchte der Mann in mein Ohr. »Es muss schwer für dich sein, so ganz allein in Paris.« Ich trat ihm mit aller Kraft auf den Fuß, und als ich hinausging, hörte ich ihn hinter mir herrufen: »Jetzt verstehe ich, warum dein Mann abgehauen ist!«
Draußen im Hof wanden sich die langen Schlangen derjenigen, die für ein Visum anstanden: Menschen saßen auf dem gepflasterten Boden, lehnten sich müde an Wände und rauchten. Ich faltete den Zettel auseinander, der in meiner Hand zerknittert war. »Recherche dans l’intérêt des familles«, stand dort. Vermisste Personen wurden offenbar als Familienangelegenheit eingestuft. Im Gehen wählte ich die Nummer. Schon nach dem ersten Tuten nahm eine Frau ab.
»Ich habe einige Fragen zu einer Person«, sagte ich, »zu jemandem, der verschwunden ist.«
»Votre nom, s’il vous plaît.«
Nom hieß eindeutig Name .
»Ich heiße Ally Cornwall«, antwortete ich. »Ich bin gerade in Paris angekommen und möchte lediglich ...«
»Adresse?«
Ich gab den Namen des Hotels an. Zwei Polizisten warfen mir einen schläfrigen Blick zu, als ich durch das Tor auf die Straße trat. Am anderen Ende der Leitung gab die Frau einen langen Wortschwall von sich, mari, fiss ... Französisch war noch schwieriger zu verstehen, wenn ich die Person nicht vor mir hatte.
»Entschuldigen Sie, aber gibt es bei Ihnen denn niemanden, der Englisch spricht?«
»Vous êtes English?«
»Amerikanerin.«
»Call embassy, please«, sagte die
Weitere Kostenlose Bücher