Toedliche Hoffnung
Frau und legte auf.
Ich war auf der anderen Seite des Viertels herausgekommen und ging zu der Steinmauer am Kai. Vor mir floss träge die Seine dahin, grünlich und trüb. Ich sog den muffigen Geruch ein und hatte plötzlich das Gefühl, schon einmal an diesem Ort gestanden zu haben. Vor langer Zeit. Ein Kahn fuhr vorüber, mit Kohle oder Asphalt beladen. Auf der anderen Seite wandten die Häuser ihre Fassaden dem Wasser zu. Es lag etwas so Bekanntes über diesem Bild, ein Déjà-vu, das nicht ganz stimmte; die Häuser waren dunkler gewesen, der Fluss breiter, das Wasser schwärzer.
Die Moldau. Der Fluss, der durch Prag floss.
Ich war noch klein gewesen, dessen war ich mir sicher, denn ich hatte nicht über den Mauerrand sehen können, und jemand hatte mich hochgehoben, jemand hatte mich mit starken Händen an der Taille gefasst und mich hochgehoben, damit ich die Schiffe sehen konnte, die auf dem Fluss vorüberglitten. Er war es, daran bestand kein Zweifel, obwohl ich ihn weder sehen, noch seine Stimme hören konnte, doch es war mit Sicherheit eine Erinnerung an meinen Vater. Auch ein Lachen war dabei, oder das Echo eines Lachens. Ich versuchte, mich zu erinnern, ob ich mich umgedreht hatte, doch plötzlich schwand das Gefühl seiner Hände an meinem Körper, und ich war nicht mehr länger sicher, ob all das tatsächlich geschehen war.
Einige Meter entfernt öffnete sich die Mauer, und eine Treppe führte zum Fluss hinab. Ich setzte mich auf die Stufen, nahm meinen Reiseführer aus der Tasche und suchte die Nummer der amerikanischen Botschaft heraus. Vom Kai unter mir stieg Uringestank auf.
»Entschuldigung, wie war Ihr Name noch?«
Der Beamte, auf dessen Schreibtisch die Fälle von verschwundenen Amerikanern landeten, hustete am anderen Ende des Hörers.
»Alena Cornwall. Ich weiß nicht, ob meinem Mann etwas zugestoßen ist, ich frage mich nur, ob Sie irgendeinen Bericht bekommen haben ...«
»Und wie lange ist Ihr Mann schon weg?«
Es war beinahe noch komplizierter, als mit der Polizei zu sprechen. Patricks Name konnte bei der Botschaft ein Begriff sein, vielleicht lasen sie obendrein The Reporter .
Ich gab eine knappe Erklärung ab, ohne Patricks Job zu erwähnen.
»Sind Sie schon lange verheiratet?«, fragte er.
»Was hat das mit der Sache zu tun?«
»Ich selbst bin schon seit dreizehn Jahren verheiratet. Nicht allewissen es zu schätzen, jeden Tag gemeinsam zu essen, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
Er biss von irgendetwas ab, ich vernahm ein Schmatzen im Hörer. Ich umklammerte das Eisengeländer der Treppe, um die Ruhe zu wahren.
»Mein Problem ist, dass ich nicht besonders gut Französisch spreche und es daher schwer für mich ist, mit der Polizei zu reden. Und Sie müssten doch erfahren, wenn etwas vorfällt, was mit einem Amerikaner zu tun hat? Ein Unfall oder Ähnliches?«
»Ich sehe eben mal nach, einen Moment ... hier haben wir etwas ...«
Mein Herz machte einen Satz und schlug einen Salto, um schließlich tief unten im Bauch wieder aufzukommen, als der Mann weiterredete.
»Einem Rentner aus Illinois ist am Freitag am Eiffelturm seine Kameratasche gestohlen worden. Er hatte sie abgestellt, um seinen Platz in der Schlange freizuhalten, als er auf die Toilette musste. Er hatte zwei Stunden angestanden und wollte seine Position auf keinen Fall wieder verlieren.«
»Patrick ist achtunddreißig Jahre alt.« Ein Ausflugsdampfer in Form einer Riesenschildkröte näherte sich dem Ufer, und die Touristen zückten ihre Kameras. Ich duckte mich, um nicht vor Notre-Dame-Kulisse in irgendeinem Fotoalbum zu landen.
»Dann hören Sie sich das mal an: Ein Paar hatte sich letzte Nacht auf den Père Lachaise geschmuggelt, sie hatten sich in einer Gruft versteckt, bis die Tore schlossen. Sie wollten Jim Morrison zu Ehren auf seinem Grab Bourbon trinken und unanständige Dinge tun. Der Mann sagte – ich zitiere -, dass ›Jims Geist während des Orgasmus aus dem Grab aufsteigen würde‹. Ich nehme nicht an, dass er das war?«
»Patrick kann Jim Morrison nicht leiden.«
Es knackte und rauschte im Hörer, er hustete erneut. Oder unterdrückte er ein Lachen?
»Ich an Ihrer Stelle würde nach Hause fahren und brav noch eine Woche abwarten«, sagte er in einem amüsierten Tonfall.»Falls irgendwo ein Mister Cornwall auftauchen sollte, richte ich ihm aus, dass er sich zu Hause melden soll, asap. Okay?«
Mein Geld würde bald zur Neige gehen, falls ich mich weiterhin mit dem Taxi durch die Stadt
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