Toedliche Hoffnung
sie nicht verstand, und das Ruder sauste durch die Luft und traf den Mann von der Seite, sodass er stürzte. Der Schleuser stieg über diejenigen, die im Weg saßen, zerrte an dem Bein des Mannes, warf ihn über Bord und prügelte auf diejenigen ein, die in der Nähe saßen, sie duckten sich, murmelten undbeteten, während die Schreie des Mannes hinter ihnen in der Dunkelheit erstarben.
Sie schloss die Augen und umklammerte ihre Beine. Guter Gott im Himmel, betete sie innerlich, bringe diese Wahnsinnigen zur Ruhe und das Meer, lass mich am Leben. Lass Taye am Leben, fügte sie hinzu, um Gott zu besänftigen, nimm mich, aber lass den Jungen leben, er ist erst sechzehn Jahre alt und der einzige Sohn seiner Eltern. Dann sagte sie lautlos die Namen aller anderen auf, die im Boot waren, einen nach dem anderen, wobei sie auf den Boden des Bootes sah, unter dem sie das tosende Meer spüren konnte; die heimlichen, echten Namen, die sie einander in der Nacht im Versteck zugeflüstert hatten, obwohl man ihnen eigentlich befohlen hatte, zu schweigen.
Die Frau neben ihr erbrach sich in die Dunkelheit, und um sie herum schwollen das Jammern und die Gebete an, ein Klagegesang, der mit den Wellen eins geworden war. Sie bohrte ihre Stirn gegen die Knie und betete auch zur Meeresgöttin Owu, obwohl sie nicht an die alten Götter glaubte, an die Geister der Greise und ländlichen Dörfer, an den Aberglauben und die Magie, die Afrika hilflos in der Vergangenheit gefangen hielten. Sefi hätte an meiner Stelle sein sollen, dachte sie und sah das Gesicht der Schwester vor sich, an jenem Abend, als sie von ihrer Entscheidung berichtete, Sefis Platz zu übernehmen und ihre Reise anzutreten. Jemand musste Geld nach Hause schicken. Die Brüder waren bereits in South-South und jagten den Jobs in der Ölindustrie hinterher, doch es kam kein Geld von ihnen.
Dann geschah das Wunder. Das Meer beruhigte sich. Als sie aufsah, ahnte sie auf der anderen Seite Licht und dankte Gott und Owu, wer auch immer von beiden nun den Wind zum Abflauen gebracht hatte. Nun kam wieder Bewegung in die Schleuser am Ende des Bootes. Sie packten einen Mann, der ganz außen saß, er schrie und zappelte, aber sie schlugen ihm auf den Kopf und zerrten an seinen Armen. »Spring, spring!«, brüllten sie.
Alles geschah so schnell in der Dunkelheit. Plötzlich fuchtelte im Wasser ein Mann mit den Armen, schrie und verschwand. Eswar einer von jenen, die nie zuvor das Meer gesehen hatten, er kam aus einem Land, wo der Lehm die Flüsse aufsaugte und in Sand verwandelte. »Helft ihm!«, rief jemand, »So helft ihm doch!« Aber die Schleuser lachten nur und schrien, und die Wellen stiegen erneut höher, und das Meer bäumte sich ihnen entgegen, als der nächste Mann ins Wasser geschleudert wurde, und dann noch einer. Herrgott im Himmel, sie töten uns, dachte sie noch, als sie im nächsten Moment sah, wie sie Taye vor ihr in die Luft hoben. »Er ist doch noch ein Kind!«, schrie sie, und im nächsten Moment spürte sie, wie einer der Männer auch ihren Arm packte und sie zu der weichen Reling zog. Sie griff nach dem Tau und klammerte sich fest, doch sie zerrten an ihren Beinen und prügelten mit den Rudern auf sie ein, und am Ende beförderten sie sie über Bord, und das Tau löste sich und folgte ihr. Das Meer schleuderte sie vom Boot weg, zwischen Arme, die fuchtelten und um sich schlugen und sie packen wollten, doch sie befreite sich, indem sie um sich trat. Sie wollten sie in die Tiefe ziehen, und sie begann zu schreien, doch das salzige Wasser lief ihr in den Mund. Sie erinnerte sich daran, dass sie den Mund geschlossen und sich an dem Tau festgeklammert hatte. Dass sie versank und ihr die Luft knapp wurde.
»Ich frage mich, ob du einige von diesen Menschen kennst?« Am dritten Morgen in dem fremden Haus hatte ihr Jillian eine Zeitung gebracht. Jeden Morgen, wenn die Uhr acht geschlagen hatte, kam sie mit dem Frühstück. Beim Gedanken an das Brot, den Käse und die kleine Schale mit dem Getreide, den Mandeln und der Milch knurrte ihr Magen. Sie stand auf und humpelte zum Fenster. Am Tag zuvor hatte sie eine kleine Ecke von der Pappe abgerissen, damit sie hinausspähen konnte. Sie sah niedrige, weiße Häuser und Blumen, die aus einem Garten wucherten, dunkelrote Blüten vor weißem Hintergrund. Der Himmel war blau mit weißen Wolken, an einer Wand lehnte ein Moped.
Jillian hatte die Zeitung auf das Bett gelegt, als sie den kleinen Tisch herbeizog und das Tablett
Weitere Kostenlose Bücher