Toedliche Hoffnung
gefeiert werden, aber sie entfernen sich nie weiter als einige hundert Meter vom Hafen, und wissen Sie warum?«
Ich hatte den Mund voll mit geschmolzenem Vanilleeis, sodass ich nicht antworten konnte.
»Er kann nicht schwimmen!«, rief Caroline Kenney aus.
Ich verzog den Mund, aber es gelang mir nicht zu lachen.
»In New York gibt es auch ein Plaza Athénée «, sagte ich. »Teure Drinks, schöne Menschen.«
Caroline Kenney nahm eine Löffelspitze von einer gelbroten Sorbetkugel. »Passionsfrucht«, sagte sie und lächelte mich an, »das beste, was sie haben.« Sie leckte ihren Löffel ab und schloss einige Sekunden lang die Augen, bevor sie weitersprach.
»Wenn meine Recherchen stimmen, dann ist Alain Thery besessen von seiner Sucht nach Status. Er will nicht der Junge aus den Kohlegruben von Pas-de-Calais sein, aber in Frankreich genügt es nicht, Geld zu verdienen. Man muss aus der richtigen Familie stammen, die richtigen Schulen besucht haben.«
Der Geschmack der unterschiedlichen Sorbets vermischte sich in meinem Mund, während sie die Bildungseinrichtungen aufsagte, die etwas zählten. Die politische Elite bestand aus Schulkameraden von der Sciences Po, der Universität für politische Studien. Vor einigen Jahren änderte man die Aufnahmebedingungen dort so, dass auch begabte Schüler aus den erbärmlichsten Vororten angenommen werden konnten. Das löste lautstarke Proteste in der Oberschicht aus, denn wie sollte man die Menschen dann künftig noch voneinander unterscheiden können? Im Idealfall hatte man auch einen Abschluss an der ENA, der École nationale d’administration, die einst von de Gaulle gegründet worden war. Der jetzige Präsident wich eklatant von der Tradition ab, indem er diese Hochschule nicht besucht hatte. Dafür hatte er die hübscheste Ehefrau von allen. An dieser Stelle verlor ich den Faden.
»Nichts von alledem führt zu etwas«, sagte ich. »Es ist, als würde ich permanent im Kreis laufen und lose Fäden aufgreifen, ohne dass sich je ein Zusammenhang ergibt. Und die Zeit läuft mir davon ...«
Ich legte die Hand auf meinen Bauch und sah zum Fenster hinaus,wo ein Platz und eine hässliche Kirche lagen. Ein eng umschlungenes Paar betrachtete eine kubistische Frauenstatue. Die beiden taten nichts, standen einfach nur da und schauten. Erneut spürte ich, wie die Tränen in mir hochstiegen, doch ich bekämpfte sie. Mit Patrick nichts zu tun, einfach nur Dinge anzusehen, danach sehnte ich mich so sehr, dass es schmerzte. Es musste keine Picasso-Statue sein, der Wetterbericht hätte mir genügt.
»In den letzten Jahren haben sie sich auf die EU konzentriert«, sagte Caroline Kenney.
Sie warf mir einen Seitenblick zu, während sie die letzte Sauce von Eis und Sorbet, die miteinander verschmolzen waren, aus dem Glas kratzte.
»Die Außengrenzen«, fuhr sie fort, »darum geht es. Wenn die Immigranten weiterhin über Italien und Spanien einreisen, von der Türkei ganz zu schweigen, schafft es die französische Polizei kaum mehr, alle hinauszuwerfen, die weiter kommen als Paris. Viele reisen zwar ganz legal ein, als Touristen, und bleiben anschließend einfach hier, aber La Ligne Française und deren Freunde sprechen lieber über diejenigen, die auf überladenen Booten hereinströmen und sich in Lastwagen verstecken, weil das ein Szenario ist, das Dupont Angst macht.«
»Dupont?«
»Der normale, unbescholtene, französische Bürger aus der arbeitenden Mittelschicht, der kein Rassist ist, der aber möchte, dass seine Kinder in einem Land aufwachsen, das so ist, wie er es von seiner eigenen Kindheit kennt.«
»Wissen Sie, ob Patrick einige dieser Männer interviewt hat?«, fragte ich.
»Er sagte nur, dass er Alain Thery einmal traf, aber die Begegnung nicht sonderlich gut verlaufen wäre. Thery brach das Interview ab, als Patrick zu den interessanten Fragen kam.«
»Und die wären?«
»Das verriet er einer Konkurrentin gegenüber natürlich nicht.«
»Sie arbeiten doch für dieselbe Zeitung.«
Caroline Kenney lachte und trank ihr Glas aus.
»Ich bot ihm an, ein Interview für ihn zu führen. Offenbar war Thery nach Patricks missglücktem Versuch unerreichbar, er antwortete nicht auf E-Mails, und Patricks Anrufe wurden nicht einmal bis ins Sekretariat durchgestellt. Patrick dankte mir für das Angebot und sagte, er würde sich wieder melden.«
»Und, hat er sich gemeldet?«
Caroline Kenney lächelte traurig und schüttelte den Kopf. Ich begriff. Patrick hätte nie einen
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