Toedliche Hoffnung
mich. Ihr Anruf hatte mich geweckt. »Was wissen Sie über Salif?«
»Er ist tot«, antwortete die Frau. »Mit einem Schuss in den Kopf hingerichtet. Sind Sie jetzt zufrieden?«
Dann war ein Klicken zu hören, und die Leitung war unterbrochen.
Das Wort blieb wie eine Schlagzeile in meinem Kopf stehen.
Tot.
Das war nicht möglich. Es hätte nicht passieren dürfen.
Mein nächster Gedanke war, dass es meine Schuld war. Ichhatte sie direkt zu ihm geführt. Ich stand in die Decke gehüllt auf und ging zum Fenster, spähte auf die Straße hinab. Kein Mensch war zu sehen.
Ich drehte mich um und blickte auf die Ziffern meines Weckers. Viertel nach neun. Strahlende Sonne über den Dächern. Verkehrslärm.
Ich bin ein toter Mann, hatte er gesagt. Wie alt war er gewesen, dreiundzwanzig, vierundzwanzig?
Ich suchte Arnaud Rachids Nummer. Meine Hände zitterten. Es tutete in der Leitung, doch niemand ging ran. Dann zog ich mich an. Meine innere Lähmung legte sich langsam. Ich nahm meine Jacke und Tasche und griff im Vorbeigehen ein Brötchen aus dem Frühstückssaal, kippte einen Kaffee und einen Saft und verließ das Hotel, lief mit schnellen Schritten zum Fluss und über die Brücke zum rechten Ufer. Unterwegs bog ich dreimal ab und versteckte mich hinter einer Ecke, um herauszufinden, ob mir jemand folgte. Doch es war niemand zu sehen. Ich rannte das letzte Stück durchs Marais und blieb abrupt stehen, als ich in die Rue Charlot einbog.
Der Eingang war abgesperrt. Ich zog mich schnell in eine Einfahrt zurück, heftig atmend.
Auf der Straße vor dem Haus, in dem Arnaud Rachids Büro lag, standen zwei Polizeiwagen und eine Ambulanz. Sie hatten die gesamte Einfahrt zum Hof abgesperrt. Vor den Absperrungen hatten sich Menschentrauben gebildet. Ich erblickte Sylvie, die Aktivistin, die gemeinsam mit einigen anderen Leuten in ebenso ausgebeulter Kleidung wie sie ein Stück entfernt in einem Hauseingang stand. Ich ging zu ihr.
»Was ist passiert?«, fragte ich.
»Mord«, antwortete Sylvie mit schreckgeweiteten Augen. »Er lag heute Morgen auf der Treppe vor dem Büro, man hatte ihm in den Kopf geschossen.«
»Sie haben ihn hier erschossen?«, fragte ich überflüssigerweise und konnte keinen Zusammenhang herstellen. Salif hätte seine Wohnung in Bobigny doch nicht verlassen dürfen.
»Arnaud hat ihn gefunden. Er hat natürlich einen schlimmen Schock erlitten. Schließlich war das der Mann, den Arnaud versteckte, der Typ, den ihr gestern besucht habt. Denn ihr wolltet doch zu ihm, oder?«
Sie sah mich forschend an. Ich warf ihr einen bösen Blick zu. Dass sie tatsächlich die Frechheit besaß, in diesem Moment eifersüchtig zu sein, jetzt, wo Salif tot war.
»Und wo ist Arnaud jetzt?«, fragte ich.
»Keine Ahnung. Er ist in Panik weggerannt.«
»Ist die Polizei darüber informiert, was passiert ist? Wissen sie, wer der Tote ist?«
Sylvie sah mich mit einer Miene an, die verriet, wie naiv ich war.
»Natürlich wissen sie es nicht. Er trug wohl kaum Papiere bei sich, das ist ja gerade das Problem. Und Arnaud wird nicht durch die Gegend rennen und erzählen, dass er ihn versteckt hat, denn dann hat er die Polizei am Hals und unsere ganze Arbeit ist für die Katz.«
Die Sanitäter knallten die Türen des Krankenwagens zu. Offenbar war es für sie an der Zeit zu fahren. Ich überlegte kurz, ob ich hingehen und sie darum bitten sollte, den Toten noch einmal sehen zu dürfen, entschied mich aber dagegen. Stattdessen ging ich in die entgegengesetzte Richtung. Hinter der nächsten Straßenecke blieb ich stehen und wählte erneut Arnauds Nummer. Hinterließ eine Nachricht, in der ich um Rückruf bat.
Ich war kaum mehr als zehn Meter gegangen, als es klingelte.
»Warst du die undichte Stelle?«, fragte er.
Ich verneinte es, und er schien mir zu glauben.
»Wie konnten sie ihn finden?«, fragte ich. »Könnten sie uns gefolgt sein?«
Arnaud gab zunächst nur ein unverständliches Wimmern von sich.
»Als ich heute Morgen kam, lag er da, mit einem Loch im Kopf. Begreifst du, sie haben ihn einfach erschossen, er hatte doch niemandem was getan?«
Es gelang mir, Arnaud zu entlocken, dass er sich außerhalb der Innenstadt befand, im banlieue. »Da, wo wir gestern waren«, sagte er.
»Ich komme.«
Die Tür war nur angelehnt. Auf dem Bett, wo am Tag zuvor Salif gesessen hatte, hockte nun Arnaud Rachid und starrte an die Wand. Das Bettzeug war zerwühlt.
»Ich frage mich, ob sie ihn hier erschossen haben«, sagte Arnaud.
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