Toedliche Hoffnung
Überzeugens. Nachdem ich mit Patrick gesprochen hatte, wurde ich neugierig und kaufte das Buch.«
Ich blätterte ein wenig im Buch, während sie erläuterte: Guy de Barreau hatte Anfang der neunziger Jahre die Denkfabrik La Ligne Française gegründet – die französische Linie . Er machte Lobbyarbeit für eine Begrenzung der Einwanderung, ohne dabei offen rassistisch zu sein. Stattdessen sprach er davon, die französische Kultur und die französischen Werte zu wahren, und war damit unglaublich erfolgreich. Es hieß, dass La Ligne Française in den letzten Jahreneine ganze Reihe neuer Gesetze bewirkt habe. Unter anderem sollten die Einwanderer ihre Familien nicht nachholen dürfen, es sei denn, sie hatten eine Vollzeitbeschäftigung. Außerdem sollten sie fließend Französisch sprechen und die Marseillaise im Schlaf singen können. Man befürwortete den Import neuer Arbeitskräfte, allerdings nur für eine begrenzte Zeit. Es sollte schwieriger werden, die Staatsbürgerschaft zu erlangen. Wer unaufgefordert ins Land kam und blieb, war ein Verbrecher, der umgehend hinausgeworfen werden sollte.
»Es ist ihm gelungen, Ideen zu vermarkten, die vor zwanzig Jahren inakzeptabel gewesen wären«, erklärte Caroline Kenney. »Immerhin haben die Franzosen die Sache mit der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit immer sehr ernst genommen.«
Sie unterbrach sich, als der Kellner kam, um abzuräumen.
»Wir brauchen natürlich auch noch Kaffee und ein Dessert«, stellte sie fest.
Während sie sich um die Bestellung kümmerte, lehnte ich mich zurück und blickte durch die gläserne Wand hindurch, die um die gesamte Veranda des Cafés herum verlief. Mein Gefühlsausbruch hatte wie eine innere Reinigung gewirkt, ich fühlte mich so klar im Kopf wie schon lange nicht mehr.
»Hat Patrick etwas darüber gesagt, was die beiden verband?«, fragte ich und zeigte auf eines der Bilder, auf dem Barreau und Alain Thery an einem Tisch saßen, in einem Café oder Restaurant. Möglicherweise das Taillevent , wie sich aufgrund des braunen Hintergrunds vermuten ließ.
Caroline Kenney lachte und schüttelte den Kopf.
»Nein, abgesehen davon, dass er dabei war, etwas Großes aufzudecken. Er bewegte sich ja in meinem Revier, also hatte er wohl Angst davor, dass ich ihm seine Geschichte stehlen könnte.«
»Wenn ich es richtig verstanden habe, ist dieser Alain Thery auf irgendeine Weise in kriminelle Geschäfte verstrickt.« Ich scherte mich nicht darum, dass jemand möglicherweise Patricks Story klaute. »Es geht um Sklavenhandel, ja sogar um Mord an denjenigen,die zu fliehen versuchen ... Aber ich verstehe nicht, wie das mit der französischen Linie zusammenhängt.«
»Vielleicht sind sie einfach nur alte Freunde«, sagte Caroline Kenney, kramte einen Lippenstift hervor und frischte ihr Makeup auf, während sie überlegte. »Obwohl ich daran zweifle. Alain Thery ist ein Emporkömmling. Er stammt aus Pas-de-Calais in Nordfrankreich, einer Stadt, die von den Textilfabriken, der Metallindustrie und dem Rest der Welt aufgegeben wurde.«
»Ich bin beeindruckt«, sagte ich.
»Er verdiente seine ersten hundert Millionen in der IT-Branche.«
»Nicht von ihm, sondern von Ihnen. Wissen Sie über alle, die sich in Wirtschaft und Politik bewegen, so gut Bescheid?«
»Nein, aber ich habe mich informiert, bevor ich Ihren Mann traf.« Caroline Kenney lachte. »Eigentlich weiß ich mehr über das Liebesleben der Promis. Klatsch und Tratsch verkauft sich besser als Politik, aber eine Kombination aus beidem ist unschlagbar. Die Affären des Präsidenten haben mir ein Auskommen für den Rest meines Lebens verschafft. Natürlich unter Pseudonym, versteht sich.«
Sie richtete sich wieder auf und machte dem Kellner Platz, der Kaffeetassen und zwei hohe Gläser mit Eis und Sorbets in verschiedenen Farben, garniert mit Früchten, Schokoladenstangen und Mandelsplittern, vor uns auf dem Tisch absetzte.
»Alain Thery pflegt übrigens in Promikreisen zu verkehren«, fuhr Caroline Kenney fort. »Jeden Sonntag, nachdem die Schauspieler ihre Vorstellungen beendet haben, hält er Hof an seinem Stammtisch im Plaza Athénée und lässt die Champagnerkorken knallen. Und wenn der Winter in Paris Einzug hält, reist er zu einer seiner Yachten. Er besitzt zwei davon – das sagen zumindest die Klatsch- und Tratsch-Blogs im Internet. Eine liegt in Saint-Tropez und eine in Puerto Banús an der Costa del Sol, es sind schwimmende Luxuswohnungen, auf denen rauschende Feste
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