Toedliche Hoffnung
immer Menschen, die einen Job suchen, um jeden Preis. Je höher die Mauern um sie herum gebaut werden, desto größer ist die Chance, dass sie schweigen. Alle wollen billige Arbeitskräfte haben, und niemand will wissen, wo sie herkommen. Und diese Geschäftsleute werden nie gefasst, denn sie haben überall Freunde. Einflussreiche Freunde ...«
»Wie Guy de Barreau zum Beispiel«, sagte ich.
Sie nickte. »Patrick hatte den Verdacht, dass Alain Thery zu denen gehörte, die sein Engagement finanzierten.« Ihr Blick verweilte bei einem älteren Paar, das gemeinsam Tai Chi machte, einer folgte den Bewegungen des anderen in einem lautlosen Tanz.
Sie strich mit ihrem Stiefel über den Sand und verwischte die Zeichnung.
»Ich möchte die Informationen haben, die Patrick Cornwall dir geschickt hat«, sagte sie. »Wir hatten eine Vereinbarung.«
»Wenn du mir sagst, wo er hingereist ist.«
Nedjma streckte die Hand aus. Ich holte das Notizbuch aus der Tasche, den Umschlag mit den Bildern. Schweigend blätterte sie das Material durch.
»Ist das alles?«, fragte sie. Und dann folgten die Worte, die alles in mir zum Stillstand brachten. »Hat er denn nichts aus Lissabon geschickt?«
Langsam drehte ich mich zu ihr um. Lissabon? War Patrick nach Lissabon gereist? In mir stiegen die Tränen hoch. Warum hatte mir niemand davon erzählt? Ich hatte gesucht und gesucht, bald eine Woche war damit vergangen.
»Ist er nach Lissabon geflogen?« Als ich die Worte herausgepressthatte, folgte die Wut, ich warf ihr einen vernichtenden Blick zu. Aus solchen wie ihr hatte ich schon in der Highschool Hackfleisch gemacht. »Und ihr Mistkerle habt das die ganze Zeit gewusst? Warum zum Teufel konnte mir dein Bettgenosse das nicht sagen?«
Sie zog lediglich eine Augenbraue hoch.
»Arnaud wusste davon nichts«, antwortete sie.
»Nicht? Naja, dann hat er immerhin die Wahrheit gesagt.«
Nedjma warf mir das Notizbuch hin.
»Damit kann ich nichts anfangen«, sagte sie und fuhr fort, die Bilder von Alain Thery und Guy de Barreau zu studieren.
»Aber die hier behalte ich«, erklärte sie und stopfte sie in ihre Jackentasche.
»Erzähl mir von Lissabon«, bat ich und schluckte.
Sie holte ein kleines Silberetui hervor und klopfte eine Zigarette heraus.
»Dort haben wir Josef K. versteckt, weil es eine Stadt ist, in der sein Netzwerk nicht agiert.« Sie zündete die Zigarette an und blies den Rauch in den Himmel. »Josef K. war einst ein sehr penibler KGB-Agent, und er hörte auch später nicht damit auf, alles zu dokumentieren – Transaktionen, Namen, Adressen. Er protokollierte das Leben seiner Freunde bis ins kleinste Detail.«
»Patrick reiste also nach Lissabon, um ihn zu interviewen?«
Nedjma nickte.
Patrick hatte sie am Montag vor zwei Wochen angerufen. Von Arnaud wusste sie, dass er Journalist war. Arnaud und sie kannten sich schon lange, waren aber auf politischem Gebiet unterschiedliche Wege gegangen. Arnaud wollte den Menschen helfen, so gut es ging, Nedjma wollte das System unterwandern und von innen heraus zerstören. An dieser Stelle rückte Josef K. auf die Bildfläche – und Patrick.
Sie hatten eine Übereinkunft getroffen.
Patrick sollte ein Exklusiv-Interview bekommen und im Gegenzug Josef K.’s Zeugenaussage protokollieren und das Dokument außer Landes bringen. Wenn alles über die Bühne war,würde Josef K. ein Ticket nach Brasilien erhalten. Gemeinsam mit Patricks Bildern und Salifs Zeugenaussage war das eine Bombe mit großer Sprengkraft, die in Justiz und Medien detonieren, das kriminelle Netzwerk zersplittern und einen solchen Schaden für die Regierung bedeuten würde, dass anschließend ein Wechsel möglich wäre.
Ihre Augen funkelten, als sie von der Explosion sprach, deren Echo bis in den Präsidentenpalast reichen würde.
»Und wo ist Patrick jetzt?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Nedjma und wandte den Blick ab. »Seit seiner Abreise habe ich nichts mehr von ihm gehört.«
»Das ist zwei Wochen her«, sagte ich. »Begreif doch, ihm muss etwas zugestoßen sein!«
Nedjma warf die Zigarette weg, sie qualmte im Sand vor sich hin.
»Verdammt noch mal, jetzt sag mir, was in Lissabon passiert ist!«, brüllte ich. Ein kleiner Junge blickte auf der anderen Seite erschrocken über den Rand des Teichs. Sein Segelboot geriet außer Kontrolle und trieb ab.
»Wir wissen es nicht«, sagte Nedjma. »Wir wissen nicht, was in Lissabon passiert ist.«
Ich starrte sie an.
»Zumindest zu deinem merkwürdigen
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