Toedliche Hoffnung
aufzugeben. Sarah Rachid hatte recht, dachte ich. Die Justiz ist ein Fundament unserer Gesellschaft, und wenn wir nicht mehr darauf vertrauen, bricht es zusammen.
Ich ging die letzten Schritte zum Wagen und beugte mich zum Fenster. Erkannte die rostigen Felgen wieder, den schiefen Türgriff.
Langsam kurbelte sie das Fenster herunter. Diese Frau sah wirklich gut aus. Ein fein geschnittenes Gesicht, kurzes, dunkles Haar. Es bestand kein Zweifel daran, dass sie Patrick im Hotel abgeholt hatte: So eine, der man als Mann hinterher sieht. Sie trug einen eleganten, blauen Mantel und wirkte auf dem schmutzigen Autositz deplatziert.
»Wer bist du?«, fragte ich.
Die Zeit für Höflichkeitsfloskeln war definitiv passé.
»Setz dich.« Sie wies auf den Beifahrersitz.
»Nie im Leben«, antwortete ich. Wenn sie tatsächlich in irgendeiner Weise in den Mord an Salif involviert war, dachte ich nicht daran, einen weiteren Ausflug mit ihr zu unternehmen.
Sie zögerte einige Sekunden lang, dann öffnete sie die Tür und stieg aus. Wir standen auf beiden Seiten des Autos. Gleich groß.
»Alena Cornwall«, sagte sie in einem gleichgültigen Ton, der mir das Gefühl gab, unbedeutend zu sein. »Mit Patrick Cornwall verheiratet. Warum hast du das nicht gleich gesagt?«
»Und wie heißt du?«
Keine Antwort. Wir taxierten einander mit Blicken, abwartend. Wie kann sie das wissen, dachte ich, in welchen Ecken hatte sie gelauert, um herauszufinden, wer ich war und was ich tat?
»Ich möchte einen Tausch vorschlagen«, sagte sie.
»Aha?«
»Wir können uns unterwegs unterhalten«, sagte sie und ging los. Wir gingen an Olivier vorbei, der gerade aus dem Hotel gekommen war, ich murmelte im Vorbeigehen, dass ich gleich zurück wäre. Er schnitt wilde Grimassen und zeigte auf ihren Rücken.
Dieselbe Frau. Danke, das hatte ich bereits begriffen.
Ich beeilte mich, sie einzuholen.
»Weißt du, wo Patrick ist?«, fragte ich.
Die Frau warf mir einen kalten Blick zu.
»Du hättest zurück nach New York fliegen sollen«, antwortete sie nur.
»Es ist mir egal, wer du bist«, erwiderte ich. »Ich will nur wissen, was mit ihm passiert ist.«
»Du kannst mich Nedjma nennen.«
Ich stutzte. Den Namen hatte ich schon mal gehört. Es dauerte einige Sekunden, bis ich den Zusammenhang herstellen konnte. Sarah Rachid hatte Nedjma am Vorabend erwähnt. Die Frau, mit der Arnaud ein Verhältnis hatte. Ein Müllwagen bremste in der Nähe, und das Scheppern der Blechtonnen hallte zwischen den Steinwänden wider. In meinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Hatte Arnaud ihr alles erzählt? Warum wollte sie mich aus der Stadt haben? Was hatte sie mit Josef K. zu tun?
Der blaue Mantel bog um eine Straßenecke, ich musste rennen, um sie nicht aus dem Blick zu verlieren, als das Menschengewimmel zunahm.
»Arnaud hat also von mir berichtet.« Ich keuchte, als ich sie an einem Zebrastreifen einholte.
Nedjma lächelte schief.
»Arnaud ist so naiv«, sagte sie und überquerte die Straße. »Er glaubt, dass alles gut wird, wenn man nur zu allen Menschen nett ist.«
»Auf welcher Seite stehst du eigentlich?«, fragte ich.
Sie antwortete nicht, steuerte stattdessen auf einen Park am Ende der Straße zu. Menschen gingen vorüber, Gesichter, die ich nicht wahrnahm. Ich musste ausweichen, um nicht mit einem Kinderwagen zusammenzustoßen. Wenn in dem Wagen kein Kind liegt, was ist es dann?, dachte ich immer, wenn ich einen sah. Eine Puppe, ein Hundewelpe, eine Sprengladung?
»Warum wolltest du, dass ich zurück nach New York fliege?«, fragte ich.
»Zu deinem eigenen Besten.« Sie ging durch eine hohe Pforte, und der Park umschloss uns mit seinem Grün, an den Rändern färbte sich das Laub bereits gelb. Statuen zwischen den Bäumen. Nedjma blieb stehen und sah mich an.
»Patrick nahm selbst Kontakt zu mir auf. Eines Tages rief er mich an und wollte über Josef K. sprechen. Woher hatte er meine Nummer?«
»Warum fragst du ihn nicht selbst?«
»Cornwall weigerte sich, seine Quelle anzugeben. Aber du bist auf keinen Fall Journalistin, auch wenn du dich dafür ausgibst.«
Ich dachte fieberhaft nach. Wenn der Taschenverkäufer Ärger bekam, war das auf keinen Fall mein Problem.
»Ein Typ, der Luc heißt und auf dem Markt in Saint-Ouen Taschen verkauft, bekam Geld dafür, ihm die Nummer zu verraten.«
»Verdammte Scheiße!« Sie fluchte auf Französisch, runzelte die Stirn und starrte eine Weile ins Grüne.
»Das muss eine Falle gewesen sein«, sagte sie
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