Tödliche Investitionen
dem Boden verstreut. Die Idee von Schrankfächern war diesem Menschen wenig vertraut gewesen, dachte Gunnarstranda. Die Möglichkeit, Sachen wegzuräumen. Er überließ den Zerrspiegel seinem aufgeweckten Kollegen und betrachtete die beiden Poster an der Wand. Eines war die Kopie eines französischen Plakates aus dem neunzehnten Jahrhundert. Eine Cancan-Tänzerin in wehenden Röcken gemalt. Das andere zeigte eine kurzsichtige Marilyn Monroe von oben. Mit glänzenden geöffneten Lippen schmiegte sie sich an ein Stück Stoff.
Er ging ins Badezimmer und blieb gleich hinter der Tür stehen. Das weiße Waschbecken war rot gesprenkelt. Der Boden war nass. Wortlos ging er zurück ins Wohnzimmer.
Er zog neue Plastikhandschuhe von der Rolle in seiner Tasche an. Öffnete ein Fenster, rief Kampenhaug etwas zu.
Es gefiel ihm nicht, dass Klavestad tot war. Er ging in sich und fand heraus, dass ihn eigentlich nicht Klavestads Abgang ins Jenseits ärgerte, sondern diese neue Perspektive. Etwas nagte in seinem Hinterkopf. Ein bohrender Zweifel. Die Angst, seine Vermutungen ändern zu müssen.
Bisher hatten sie zwei Schlüsselwörter. Messer und Nacht. Das wiederum gefiel ihm. Aber der Schnitt gefiel ihm nicht. Ein Hieb gegen den Hals. Das gefiel ihm überhaupt nicht. Es war ein verdammter Mist, dass Klavestad umgebracht worden war.
Der Mord würde schlafende Hunde wecken, all die gebildeten Jackettträger, die stets das Bedürfnis hatten, laut auszusprechen, was alle anderen dachten. Es bestand die Gefahr, dass es Scherereien geben würde, Forderungen nach Auskünften und der einen oder anderen Pressekonferenz. Formalismus. Das ärgerte ihn. Aber es hatte auch eine positive Seite. Er merkte, dass er langsam wütend wurde. Ein gutes Zeichen, dachte er und drehte sich um. Blieb stehen und betrachtete den Ofen. Ein leicht verstaubter, gefliester Eckofen mit Marmorspitze und vernickeltem Handgriff, wie man sie früher hatte.
Einer plötzlichen Eingebung folgend, hockte er sich hin. Er strich vorsichtig mit der Hand über das Gusseisen. Noch einmal ohne Plastikhandschuh. Hm. Möglicherweise.
Vorsichtig, vorsichtig öffnete er die Ofentür. »Frølich«, rief er leise.
Sein Partner kam aus dem Flur. »Wahrscheinlich hat er geschlafen«, sagte Frølich. »Die Leselampe war an, und das Bett war nicht gemacht.«
»Sieh mal«, sagte Gunnarstranda leise.
Frølich bückte sich und betrachtete die qualmenden Aschereste.
»Er hat wohl geheizt«, bemerkte er gleichgültig. »Der nicht«, sagte Gunnarstranda nachdenklich. »Der nicht. Und das ist kein Holz. Das schwelt. Das ist Stoff. Kleider, wenn davon überhaupt noch etwas übrig ist!«
Achtundzwanzig
Elise Engebregtsen erwartete sie und hatte die Tür schon geöffnet, als sie den Fahrstuhl verließen. Sie war dick. Außergewöhnlich dick. Und ihr ergrautes Lächeln entblößte alte dritte Zähne.
»Tag«, sagte sie. »Ich weiß nix. Könnt also gleich wieder gehen. Ich weiß nix.«
Frank Frølich lächelte höflich und deutete eine Verbeugung an. Er sah sie sich an. Sie trug eine karierte Schürze, hatte dicke Oberarme und einen grandiosen Hintern. Ihre Fesseln quollen über die Pantoffeln. Sie war vielleicht fünfundsechzig. Sie klapperte mit dem Gebiss. Klickgeräusche, hervorgebracht von einer nervösen Zunge. Was für ein Biss! Wie eine Forelle, dachte er fasziniert. Gunnarstranda hustete.
»Na, kommt rein. Aber wie gesagt. Ich weiß nix!«
Sie ging vor ihnen her in die Wohnung, breit wie ein Sumo-Ringer. Ihr Atem ging schwer und rhythmisch. Sie war eine Ringerin, eine echte Ringerin. Die Zähne klapperten.
»Jaja«, stöhnte sie. Setzte sich schwer. »Soso, ja.« Sie griff nach einer geblümten Thermoskanne. Schenkte Kaffee ein.
»So, ja, so!«
Die kleinen Tassen waren mit Rosenmuster verziert. »Zucker?«
Frølich schüttelte den Kopf.
Es roch scharf und irgendwie herb. Als ob Moos an den Wänden sein müsste. Großmuttergeruch. Kleine, runde Bilder hingen an der Wand, die Tapete war hellblau mit neutralen, weißen Blumen. Handarbeiten. Stickerei und Strickzeug. Ein Foto von der Hausherrin persönlich hing an der Wand gegenüber. Ein Baby auf jedem Arm und ein glückliches Prothesenlächeln.
»Ich hab ja schon gesagt, ich weiß nix.«
Zähneklappern.
Gunnarstranda trank seinen Kaffee.
»Wann haben Sie ihn gefunden?«
»Eben, heut Morgen.«
»Um wie viel Uhr?«
»Halb neun. Nach der Andacht im Radio.«
Gunnarstranda nickte langsam.
»Jaja«, schnaufte sie.
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