Tödliche Investitionen
hinweg und hob die Plane, um genauer hinzusehen. Das war nicht leicht. Er musste seinen Mantel anheben, um ihn nicht zu beschmutzen, und gleichzeitig die blutverschmierte Plane hochhalten.
Er fluchte und zog den Mantel schließlich aus. »Halt mal«, sagte er zu dem Uniformierten, der nicht zu Boden blickte. Gunnarstranda schlug die Plane ganz beiseite.
Sigurd Klavestads Gesicht war weißer denn je. Hohl und glasig starrte er ins Leere. Seine Augen sehen aus wie Murmeln, dachte Gunnarstranda, als er dem Blick begegnete. Er konnte den Zinnsoldaten hinter sich laut schlucken hören, während er ein unangenehmes Gefühl im Magen verspürte, als er den sauberen tiefen Schnitt entdeckte, der das Opfer fast enthauptet hatte. Langsam ließ er den Kopf wieder in seine alte Stellung sinken.
Einen Moment lang starrte er den Leichnam nachdenklich an. Die Füße waren nackt. Die Arme waren nackt. Der Tote war nachlässig und nur dürftig bekleidet. Sein langer Pferdeschwanz war steif und blutverklebt.
Er wandte sich wieder an den nervösen Kollegen und nahm ihm den Mantel ab.
»Du kannst ruhig gehen«, sagte er leise. »Sag den Jungs, sie sollen die Namen von allen besorgen, die sich im Haus aufhalten oder seit gestern Nachmittag hier gewesen sind.«
Gunnarstranda blieb stehen. Er versuchte, die nicht mehr vorhandene Atmosphäre zu spüren. Rasch ging er zum Scheinwerfer hinüber und löschte ihn. Die fleißigen Kollegen hielten in ihrer Arbeit inne. Langsam gewöhnten sich die Augen an das neue Licht. Graugelbes Licht einer nackten Glühbirne an der Treppenhauswand.
Hier war er gestürzt. In seiner Angst.
Gunnarstranda schloss die Augen. Öffnete sie wieder. Der andere hatte sich nicht bewegt. Starrte ihn nur an. Langsam zog er den Plastikhandschuh aus. Ließ ihn auf den Boden fallen und schob sich die Rolle unter den Arm.
Beide Hände in den Manteltaschen holte er tief Atem, ehe er sich zu Frølich umwandte, sich an ihm vorbeiquetschte und ging.
Im ersten Stock begegneten sie Bernt Kampenhaug, dem Einsatzleiter. Eigentlich war er ein ganz sympathischer Akkordeonspieler, dieser Bernt. Er bediente den ganzen November und Dezember dreimal die Woche auf Weihnachtsfeiern die Quetsche und sammelte Oldtimer. Er besaß drei alte Polizeiwagen. Ein sympathischer Mann, solange er nicht im Dienst war oder man es vermied, mit ihm über Politik zu diskutieren. Bernt war ein Mann mit festen Ansichten, er war für strengere Uniformvorschriften und Bewaffnung. Jetzt hatte er sich die Sonnenbrille ins Haar geschoben, sah aus wie ein Tourist, kaute Kaugummi und schien mit dem Sitz seines Overalls zufrieden zu sein. Ein Funkgerät mit kurzer Antenne knisterte in seiner Hand. Er hatte sich zur Feier des Tages eine Waffe besorgt, die seinen Hintern noch breiter machte als er ohnehin schon war. Gunnarstranda merkte, wie ihn Bernts Anblick nervte.
Kampenhaug klemmte sich das Funkgerät unter den Arm und begleitete sie, eine Hand in den Gürtel gehakt, aus dem Haus. Draußen in der Sonne schob er sich die Sonnenbrille wieder auf die Nase, rückte sie mit einem Finger gerade, ließ das Funkgerät schnarren und versuchte, für die Pressefotografen hinter der Absperrung in Positur zu gehen.
Ein Journalist rief Gunnarstranda etwas zu, was der überhörte.
»Eine alte Dame aus dem ersten Stock hat die Leiche gefunden«, sagte Kampenhaug wichtig und deutete mit dem Daumen auf ihre Fenster. »Sie wirkt ziemlich verwirrt.«
Er verschwand, um einen Journalisten hinter die Absperrung zurückzujagen. Kam breitbeinig zurückstolziert, die Sonne im Gesicht.
»Die Alte hat was davon gefaselt, dass es den Falschen erwischt hat, weil der Richtige nicht da sein konnte. Verkalkt, wenn du mich fragst! Er hat übrigens einen Stock über ihr gewohnt. Die Tür ist offen!«
»Gut«, sagte der Kriminalhauptkommissar.
Der Zinnsoldatkollege kletterte über das Absperrband.
»Bist du nicht Polizist?«, brüllte Kampenhaug im Kasernenhofton. »Also wisch dir die Kotze weg, ehe du mit Leuten sprichst!«
Siebenundzwanzig
Gunnarstranda stellte fest, dass Sigurd Klavestads Wohnung ihm nicht mehr sagte, als er ohnehin schon über ihn gewusst hatte. Zwei Zimmer, Küche, Duschbad mit Tür zum Flur. Im Flur hingen ein paar Zerrspiegel. In dem einen sah die Nase wie eine Kohlrübe aus, und im anderen verzog sich das Gesicht zu einer Acht und ließ es aussehen wie eine Karikatur.
Es herrschte Chaos. Comics, Schuhe und allerlei Klamotten, Jacken und T-Shirts lagen auf
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