Tödliche Jagd
Während ich den ersten Hieb parierte, bekam ich fast im
Unterbewußtsein mit, daß einer der Hubschrauber hinter dem
Hügel niederging, wahrscheinlich dort, wo meine letzte Granate
eingeschlagen hatte und noch immer Rauch aufstieg, doch für uns
hier bedeutete das keine Hilfe. Eine Schwertspitze streifte meinen
rechten Arm, ich fuhr herum, schlug meinem Gegner den Gewehrkolben
unters Kinn und konnte gerade noch der Klinge des anderen ausweichen,
die nach meinem Kopf zielte.
St. Claire hatte einen der Angreifer niedergeschlagen,
stand nun, Blut im Gesicht, mit dem Rücken zum Rand der Klippen
und versuchte, sich die beiden anderen vom Leibe zu halten.
Ich rutschte auf dem feuchten Gras aus
und wälzte mich hin und her, um kein leicht zu treffendes Ziel
abzugeben. Ein Schwertstreich verfehlte meinen Kopf nur um Zentimeter,
die Klinge fraß sich tief in den weichen Boden, und ich rammte
dem Schwertführer das Bajonett mit beiden Händen unterhalb
des Brustbeins in den Magen.
Beim Aufstehen sah ich, daß einer von St.
Claires Gegnern ihn am linken Arm festhielt und so beschäftigte,
daß sich seinem Gefährten die Möglichkeit bot, einen
tödlichen Hieb zu führen.
Seltsam, aber in diesem Moment war er wieder mein
bester Freund, und mein einziger Gedanke war, ihm zu helfen. Ich
stieß einen fürchterlichen Schrei aus, sprang hinzu und
rammte dem mit dem Schwert das Bajonett in den Rücken.
Aber es half St. Claire nicht mehr viel, denn der
andere erkannte wohl, daß er keine Chance mehr hatte, und warf
sich plötzlich mit seinem ganzen Gewicht gegen ihn, so daß
beide über den Klippenrand taumelten.
Bis nach unten, wo die kochende See in einem weißen
Schaumteppich gegen spitze, schwarze Felsen brandete, waren es
mindestens dreißig, fünfunddreißig Meter. Einen
solchen Sturz zu überleben schien überhaupt nur dann
möglich, wenn man das große Glück hatte, zwischen den
Felsen in tiefes Wasser zu fallen. Als ich nach unten sah, tauchte St.
Claire wie eine große, dunkle Robbe aus den Fluten auf.
Aber er mußte schwer verletzt sein, denn er war
nicht in der Lage, gegen die Strömung anzukämpfen, die ihn
plötzlich mitriß und mit dem Gesicht nach unten auf eine
Matratze aus Seetang warf.
Rechts von mir fiel das Gelände
steil ab und mündete in eine ziemlich breite Felsspalte. Ich
schlitterte im nassen Gras den Abhang hinunter und stellte fest,
daß sie trichterförmig nach unten führte und teilweise
mit Sand und Erde angefüllt war, anscheinend ein natürlicher
Abfluß für Regenwasser.
Ohne zu zögern machte ich mich, mehr rutschend
als kletternd, das Gewehr in einer Hand, an den Abstieg. Die letzten
acht, zehn Meter ging es fast senkrecht hinunter, doch der weiße
Sand an dieser Stelle des Strandes war weich und dämpfte meinen
Aufprall sehr wirksam.
Ich sah ihn jetzt ganz deutlich auf einer steinernen
Landzunge, die weit ins Meer hinausragte. Als wieder eine Welle
über ihn hinwegbrandete, ließ ich das Gewehr fallen, rannte
über den Strand und watete im seichten Wasser zwischen den Felsen
auf ihn zu.
Ich hörte meinen Namen, glaubte im ersten Moment,
St. Claire würde nach mir rufen, doch der Ruf kam aus einer
anderen Richtung. Ich stand bereits bis zum Bauch im Wasser und drehte
mich um. Ungefähr zweihundert Meter von mir entfernt sah ich die
Kiefern im oberen Abschnitt einer sanft abfallenden, grasbedeckten
Rampe, die im Sand des Strandes auslief.
Ein Reiter hatte sein Pferd etwa auf halber Höhe
angehalten – Oberst Chen-Kuen im gelben Mönchsgewand,
darüber die schwarze, gefütterte shuba, um den Kopf
das Todesband, dessen lange Enden hinter seinem Rücken im Wind
flatterten. Er kam den Abhang herunter, gab seinem Pony die Sporen,
flog förmlich, eine Fontäne aus aufgewirbeltem Sand hinter
sich herziehend, über den Strand, lenkte es ins Wasser, zog das
Schwert.
Und ich stand da mit leeren Händen und wartete,
wartete darauf, daß mich sein Schwerthieb traf. Doch im
allerletzten Moment sah er, daß ich keine Waffe hatte, und fiel
seinem ganz speziellen Ehrbegriff zum Opfer. Er hielt sein Pony an und
steckte das Schwert zurück in die Scheide.
Er blickte in feierlichem Ernst zu mir
herunter, zügelte das Pony, das immer wieder seitlich ausbrechen
wollte, in seiner mittelalterlichen Kleidung, deren Farben sich lebhaft
gegen den grauen Himmel abzeichneten, einen unvergeßlichen
Anblick bietend.
»Ich habe Sie immer wieder unterschätzt,
Ellis«,
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