Toedliche Luegen
Körperverletzung und Vergewaltigung in Verbindung gebracht zu werden, wäre Pierre niemals eingegangen. Das kann er sich in seiner Position, bei seinem gesellschaftlichen Ansehen gar nicht leisten. Das konnte er nicht.“ Beate schüttelte vehement den Kopf. „Das ist absurd. Nein, Monsieur Durlutte.“
Mit einem unguten Gefühl beobachtete sie, wie der Oberkommissar sein Cognacglas nervös zwischen den Fingern drehte. Er hatte ihr gar nicht zugehört! Die Herkunft des Videos oder der Spenderniere beschäftigte ihn nicht halb so sehr wie ein anderes Problem.
Sie schaute Durlutte finster an und ihre Stimme nahm einen scharfen Ton an: „Ich werde das dumme Gefühl nicht los, dass Sie wie die Katze um den heißen Brei schleichen. Was wollen Sie wirklich von mir?“
„Bei der Durchsuchung des Büros sind wir auf einige alte Dokumente gestoßen. Briefe einer Alicia Romeral an Pierre Germeaux, die Geburtsurkunde von Alain und eine Unzahl ärztlicher Untersuchungsergebnisse, Gerichtsakten. Alles deutet darauf hin, dass Alain der Sohn von … von Alicia Romeral …“
Durlutte räusperte sich betreten und versenkte seinen Blick tief in die bernsteinfarbene Flüssigkeit in seinem Glas. „Es fällt mir wirklich nicht leicht, Ihnen das sagen zu müssen. Doch es ist besser Sie erfahren es … vorher. Bevor es zu spät ist.“
„Was, zur Hölle, meinen Sie damit?“
Dann fiel der Groschen und das tat er so laut, dass Beate zusammenzuckte. „Es geht um Alain. Und seinen Vater, nicht wahr? Wer … wer ist es?“
„Die Unterlagen belegen, dass Alain der Sohn von Pierre Germeaux ist.“
Ein Schrei des Entsetzens blieb Beate in der Kehle stecken. Nach den Schrecknissen der vergangenen Tage hatte sie sich eingebildet, ihr Herz könnte nicht noch tiefer rutschen. Aber es konnte. Denn das tat es in genau dieser Sekunde. Beate war leichenblass geworden und krallte ihre Finger in die Tischplatte, bis die Knöchel weiß hervortraten.
„Pierre ist … Alains … Vater?“
„Ja. Sein leiblicher Vater. Deswegen und nur deswegen wurde Alain von Henri Germeaux adoptiert – damit der Familie der potentielle Erbe nicht verlorenging, selbst wenn er lediglich ein Bastard war. Und um einen Skandal um den noch minderjährigen Pierre zu verhindern.“
Soviel also dazu, Alain und sie würden irgendwann über die Tragödie dieser Nacht hinwegkommen und zu einem geregelten, vielleicht sogar gemeinsamen Leben zurückfinden, wenn sie sich nur liebten und vertrauten. Von einer Minute auf die andere ging ihr unerschütterlicher Glaube an eine Zukunft an Alains Seite den Bach hinunter. Der Schmerz fraß sich wie eine ätzende Säure in ihre Eingeweide.
Ihre Zeit war abgelaufen.
„ Demnach ist Alain … er ist mein Bruder. Mein Halbbruder.“
Tränen traten in ihre Augen. Mit all ihren Sinnen wurde ihr bewusst, durch dieses Wort das vernichtende Urteil über ihr weiteres Leben gesprochen zu haben. Vorbei! Alles, was sie geplant und sich erhofft hatten. All ihre Träume von einer gemeinsamen Zukunft. Vorbei!
Denn er war i hr Bruder.
Sie liebte Alain. Doch der war ihr Bruder. Verdammt, sie wollte nicht noch einen Bruder! Davon hatte sie schon zwei.
Sie wollte Alain!
„Es tut mir leid, Mademoiselle.“
„ Mir auch“, sie lachte Eisklumpen, „vor allem wenn man bedenkt, dass Pierre seinen eigenen Sohn dreißig Jahre lang bis aufs Blut gehasst hat. Und verleugnete. Er wusste es die ganze Zeit über und hat uns absichtlich belogen. Er wusste auch, dass ich Alain liebe, und hat uns ins offene Messer laufen lassen. Oder weiß … weiß Alain davon?“
Durlutte hob die Brauen , dann zuckte er mit der Schulter. „Nicht von uns. Sie haben selbst gesehen, wie Madame Didier mit Argusaugen darüber wacht, sämtliche Aufregung von ihm fernzuhalten – und in der Hauptsache uns. Wir durften bis heute nicht ein einziges Wort mit ihm wechseln, obwohl er aus der Ferne bereits wieder einen recht ordentlichen Eindruck auf mich macht.“
„Hat ihm Pierre möglicherweise die Wahrheit erzählt? An jenem Abend? Hat sich daran ihr Streit aufgehängt?“
„Nein. Nein, ganz sicher nicht.“
Das Schweigen zwischen ihnen wuchs, bis es sich schwer und erdrückend auf sie senkte. Beate schüttete wortlos und ohne mit der Wimper zu zucken den nächsten Cognac in sich hinein. Spätestens jetzt war sie fest entschlossen, so lange zu trinken, bis sie weder fühlen noch denken konnte. Sie wollte nicht mehr darüber nachdenken müssen, was ihr Pierre
Weitere Kostenlose Bücher