Tödliche Mitgift
1, ja das gesamte Polizeihochhaus, lag bereits im Dämmerschlaf, als Pia gegen acht Uhr ihr Büro verließ und mit dem Fahrstuhl nach unten fuhr.Nur im Erdgeschoss beim Kriminaldauerdienst wurde noch leise diskutiert. Pia hob grüßend die Hand und trat hinaus in den lauen Sommerabend. Während ihre Kollegen noch ihre Einsatzbesprechung abgehalten hatten, von der sie ausgeschlossen worden war, und dann einer nach dem anderen nach Hause gefahren war, hatte sie in ihrem Büro gesessen und versucht, sich eine sinnvolle Herangehensweise für diesen neuen, eher ungewöhnlichen Auftrag zu überlegen.
Zunächst hatte sie bei den Kollegen in der Dienststelle in Ratzeburg angerufen und sie gebeten nachzuprüfen, ob Bernhard Löwgen vielleicht schon wieder zu Hause war. Es passierten weit ungewöhnlichere Dinge, als dass ein Tatverdächtiger in seiner Wohnung saß, während die Polizei ihn sonst wo in der Weltgeschichte suchte. Danach hatte Pia im Internet nach dem Hotel Guarini in Perugia gesucht, um ein Gefühl für den Tatort und das Umfeld ihres neuen Falles zu bekommen. Nachdenklich hatte sie die Seite des Hotels auf ihrem Bildschirm betrachtet. Es handelte sich um ein Fünf-Sterne’Hotel, angeblich eines der Leading Small Hotels of the World. Die Fotos zeigten einen beeindruckenden alten Bau von 1884, der sich im Zentrum Perugias befand. Die Zimmer und Suiten, die auf den Fotos abgebildet waren, hatten Decken mit Stuck oder alten Dachbalken, seidenbespannte Wände, in gleichmäßigen Bögen drapierte Vorhänge und antike Möbel. Eines der Restaurants befand sich auf der Dachterrasse, mit Ausblick auf die darunterliegende Stadt und die umliegenden Hügel. Im Untergeschoss des Hotels gab es einen Wellness-Bereich mit Schwimmbad, wo man durch einen transparenten Glasboden die Überreste etruskischer Bauwerke sehen konnte. Alles sah luxuriös, stilvoll und … teuer aus. Hier wohnte man wohl nicht, wenn man auf den Euro achten musste. Gablers Sorge, die Dreylings könnten in den Fall verwickelt sein, schien gar nicht so weit hergeholt zu sein.
Fast zur selben Zeit, als Pia das Polizeihochhaus verließ, traf Matthias Nowak müde und verschwitzt in einer Wohnung in der Via Romana in Perugia ein. Er hatte die Scala mobile, die Rolltreppen, benutzt, die aus dem Stadtzentrum auf dem Hügel hinunter zur Piazza Partigiani führten, und war den Rest des Weges zu Fuß gelaufen. Auf seinem Weg hatte er sich mehrmals umgesehen und ein paar Umwege durch kleine Seitenstraßen gemacht, bis er sich sicher gewesen war, dass ihm niemand folgte.
Seine Frau Caterina hatte die Vierzimmerwohnung in dem unauffälligen Mietshaus in der Via Romana für einen begrenzten Zeitraum über das Internet gemietet. Sie gehörte einem Paar, das für ein paar Monate in Singapur arbeitete. Es war ein kostspieliges, aber komfortables und vor allem ungestörtes Arrangement. Die Nachbarn in den Wohnungen darüber und darunter hatten kaum mehr als beiläufiges Interesse gezeigt, als Caterina ihnen erläutert hatte, dass sie ihren Mann begleitete, der Geschäftsbeziehungen zu Olivenöl- und Weinproduzenten in der Umgebung aufbauen wollte. Es war nur natürlich, dass Matthias Nowak zu diesem Zweck recht häufig mit dem kleinen Lieferwagen, den sie gekauft hatten, durch die Gegend fuhr. Bisher war alles nach Plan verlaufen, so, wie es Caterinas Onkel, Gisberto Rizzo, minutiös für sie ausgearbeitete hatte. Doch seit ein paar Tagen war Stillstand eingetreten – ein quälender, ungesunder Stillstand. Der Geschäftstermin, den Rizzo für ihn in Rom arrangiert hatte, war zwar erfolgreich verlaufen, hatte den Fortgang ihrer eigentlichen Unternehmung aber nicht beschleunigt. Beim Öffnen der Wohnungstür dachte Nowak wieder an die versiegelte Tür im Guarini. Unerklärlich war das, unerklärlich und … beängstigend.
»Caterina!« Sein suchender Blick flog über den glänzenden grauen Granitboden, der sich durch den gesamten Wohnbereich bis hin zum Küchentresen erstreckte. »Caterina, wo bist du denn?«
Sie kam aus dem Schlafzimmer, ein paar Oberhemden über dem Arm, die sie offensichtlich bügeln wollte. »Ach, da bist du ja endlich, Matthias! Alles gut verlaufen in Rom?«
»Bestens. Hast du was von Annegret gehört?«
»Ah … nein. Komm erst mal rein. Möchtest du etwas trinken? Einen kalten Weißwein oder einen Averna?« Sie warf die Hemden im Wohnzimmer über die Sessellehne und öffnete den Schrank, in dem die Gläser standen.
»Ich will nichts trinken,
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