Tödliche Nähe
grinste sie an und gab ihr dann einen zärtlichen Kuss. »Ich muss los.«
»Du musst los?«, wiederholte sie verständnislos. Dann fiel es ihr wieder ein. Verdammt! Seine Freundin. Der Gedanke brachte sie abrupt wieder auf den Boden der Tatsachen zurück.
Seine Freundin – die Frau, die Joely so unheimlich ähnlich sah.
»Ist gut«, presste sie mühsam hervor. »Geh nur.«
Sie schluckte trocken, lehnte sich zurück und versuchte, eine möglichst unbeteiligte Miene aufzusetzen.
Doch Laws scharfem Blick schien nichts zu entgehen. Er streichelte ihr über die Wange. »Alles in Ordnung?«
»Klar.« Sie lächelte gezwungen und ging auf wackeligen Beinen quer durchs Zimmer. Noch immer war sie ganz von Verlangen erfüllt, es machte sie schwindelig, sodass sie nicht richtig denken, sich nicht konzentrieren konnte. »Ich bin nur … hm. Deine Freundin, Lena. Sie …«
»Ich bringe sie zum Arzt«, rief Law ihr leise in Erinnerung.
»Ach ja.« Sie hob den Morgenmantel auf und hüllte ihn um ihren Körper. Plötzlich war ihr ganz kalt. Solange sie in Laws Nähe gewesen war, hatte sie nicht gefroren. Überhaupt nicht. Aber nun … Sie unterdrückte ein Zittern und schenkte ihm erneut ein Lächeln, diesmal ein etwas natürlicheres. »Du musst los«, flüsterte sie.
Law ging sich die Hände waschen. Dann kam er wieder zu ihr und umfasste ihr Kinn. »Versprochen ist versprochen«, murmelte er und gab ihr einen unnachgiebigen, leidenschaftlichen Kuss. »Oje, du stellst schlimme Dinge mit meinem Verstand an, Nia. Ganz schlimme.«
Unerklärlicherweise musste sie daraufhin lächeln. Das war doch nur gerecht, fand sie. Schließlich brauchte sie ihn lediglich anzusehen, und schon verlor sie ihre Fähigkeit, klar zu denken.
Männer hatten doch sonst nicht so eine Wirkung auf sie. So etwas passierte ihr einfach nicht.
Aber Law, begriff sie allmählich, war nicht bloß irgendein Mann.
8
Vorerst würde sie nicht zu ihm gehen.
Auch wenn die Versuchung groß war. Schließlich hatte er ihr versprochen, ihr verpatztes Schäferstündchen nachzuholen. Doch Nia durfte sich nicht von ihm ablenken lassen. So anziehend er auch sein mochte, sie war nicht seinetwegen hergekommen.
Sondern wegen Joely, und verdammt noch mal, sie würde Antworten auf ihre Fragen finden.
Während der nächsten Tage konzentrierte sie sich auf die Recherche und durchforstete die Archive und Zeitungen in der Bibliothek. Aber zu den unpassendsten Gelegenheiten geisterte Law immer wieder durch ihren Kopf. Zwischendurch verspürte sie das dringende Bedürfnis, zu seinem Haus zu fahren und ihn zu sehen.
Ein paarmal hätte sie sich tatsächlich beinahe aufs Motorrad gesetzt. Beinahe. Doch irgendetwas hielt sie immer wieder zurück.
Zuerst musste sie erledigen, was sie sich vorgenommen hatte. Joely – ihretwegen war sie hier. Obwohl es Nia momentan so vorkam, als träte sie nur auf der Stelle, verflucht. Und als ernähre sie sich nur von Cola light, Zigaretten und Müsli. Meistens bekam sie im Supermarkt nicht einmal ihre Energydrinks, die sie doch so sehr brauchte.
Die Archive zu durchkämmen, stellte sich als völlig nutzlos heraus. Dort war nichts Hilfreiches zu finden, doch höchstwahrscheinlich hatte sich der Mörder seine Opfer auch nicht in seiner eigenen Stadt gesucht. Zu dumm.
Ziemlich viele Frauen waren spurlos verschwunden, aber ihre Leichen hatte man nie entdeckt …
All die Namen verschwammen vor Nias Augen, verwischten wie feuchte Tinte zu unleserlichen Klecksen, die keinen Sinn ergaben, keiner davon stach heraus. Am Donnerstag war sie es leid, pausenlos von vermissten Frauen zu lesen. Sie hatte die Nase voll von dieser selbst auferlegten Mission und davon, sich zu fragen, warum sie das alles eigentlich nicht von zu Hause aus erledigte. Statt also wieder in die Bibliothek zu gehen, machte sie sich auf zum Bezirksamt.
Sie plante nicht etwa, mit Ezra King zu sprechen. Mit dem Sheriff hatte sie nichts zu bereden. Nia musste sich einfach dringend auf etwas Neues konzentrieren – auf einen neuen Ansatz. Glücklicherweise war sie daran gewöhnt, wie eine Wahnsinnige Nachforschungen anzustellen, denn sie hatte beschlossen, sich durch die Polizeiberichte aus den Wochen nach Joelys Verschwinden zu wühlen, wobei Nia auf jede Kleinigkeit achtete.
Das Prinzip der Transparenz in der Verwaltung war wirklich eine wunderbare Angelegenheit – solange die Polizeiberichte nichts mit laufenden Ermittlungen zu tun hatten, konnte niemand ihr verbieten, darin
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