Tödliche Option
stehen kann?« Er ließ Münzen in einem Becher
klingeln. »Die kleinste Münze, die Sie mir geben können, wäre wunderbar. Gott
segne Sie.«
Wetzon seufzte. Er hatte die ganze Litanei
heruntergebetet, mit allen Schlagworten. Durch den ganzen Wagen klirrte
Kleingeld auf Metall. Die Leute leerten ihre Taschen für ihn. Das schlechte
Gewissen vielleicht, weil sie der Bettlerin vorher nichts gegeben hatten. Waren
New Yorker so abgestumpft, fragte sie sich, daß sogar ihre Schnorrer eine
aufgemotzte Vorstellung geben mußten? Für Amateure rückten sie kein Geld
heraus. Wenn aber nun alles eine Gaunerei war und die zwei Bettler unter eine
Decke steckten? Vielleicht teilten sie an der Endstation South Ferry. An der
Endstation teilen. Sie dachte, das war der Grund für die Morde bei Luwisher
Brothers. Es gab eine gemeinsame Kasse — rechtswidrig erworben — , die jemand
einfach nicht teilen wollte. Habgier war die Ursache für alles.
Der Zug fuhr in die Penn Station ein, als,
Wetzon vor Kälte langsam eine Gänsehaut auf den Armen bekam. Die Fahrt hatte
weniger als zwanzig Minuten gedauert.
Sie stieg in die betäubende Hitze auf dem
Bahnsteig aus und ging die mit Penn Station, Long Island Railroad bezeichnete
Treppe hinunter, streifte Leute, die heraufkamen, drängte sich an denen vorbei,
die ihr zu langsam hinuntergingen.
Es roch ekelhaft nach Schweiß und Urin. Als sie
sich durch das Drehkreuz schob und in die hell erleuchtete Halle kam, die mit
den billigen Eßlokalen auf beiden Seiten einer Ladenstraße ähnelte, überdeckte
der schale, ranzige Geruch von fettigem Popcorn alle bisherigen Gerüche.
Die Bagel Bar... wo war sie? Sie ging
langsamer weiter. Dieser Bereich unter der Penn Station war spelunkenartig und
altmodisch wie ein Vergnügungspark, mit Imbißbuden und billigen Souvenirläden,
Zeitungsständen und sogar zwei Buchhandlungen. Für jeden Reisenden etwas.
Amtrak, Lirr, die Path-Züge nach New Jersey und die U-Bahn-Linien der Seventh
und Eight Avenue liefen alle hier zusammen.
Das war es. Bagel Bar, 24 Stunden
geöffnet, in Neonbuchstaben und blinkend wie ein Gasthausschild an der Straße.
Natürlich keine Tische. Nur eine lange Theke mit Barhockern links und ein Sims
rechts, wo man seinen Bagel mit was darauf im Stehen essen konnte, ein
Phänomen, das typisch für die stets gehetzten New Yorker war.
Ein Wartungstechniker in blauem Overall und mit
einer Amtrak-Mütze stand am Sims und löste mit einem Kugelschreiber das Kreuzworträtsel
der Sunday Times. Er verzehrte einen gewaltigen Zwiebelbagel mit einer
mehr als fingerdicken Schicht Rahmkäse und rohe violetten Zwiebeln als
Garnierung. Ein Abenteuer in Cholesterin, dachte sie, als sie sich
vorbeidrängte und die anderen Gäste musterte. Dwayne befand sich nicht unter
ihnen.
Zwei Frauen saßen nebeneinander an der Theke.
Sie gehörten nicht zusammen, folgerte Wetzon, weil die eine der anderen ein
wenig den Rücken zukehrte, rauchte und die Anzeigenseiten einer
zusammengelegten Newsday las, einen Kaffeebecher auf der linken Seite.
Sie quoll hinten und über dem Gürtel aus grauen Malerhosen, die Brüste hingen
tief und locker unter einem T-Shirt mit dem Aufdruck Free the New York Yankees.
Die andere, die wesentlich jünger war, trug eine
Porsche-Sonnenbrille und hatte langes gelocktes rotes Haar und einen hübschen
blaßgoldenen Teint. Sie trug enge ausgebleichte Jeans, eine gestärkte weiße
Baumwollbluse mit Stehkragen und goldene Ketten. Um die Taille hatte sie einen
hellen Schal wie einen Sarong gebunden. Sie schlürfte eine Cola geräuschvoll
durch den Strohhalm und flirtete auf Teufel komm raus mit dem
lateinamerikanischen Kellner.
Wetzon entschied sich für einen Platz an der Theke
mitten im Lokal, setzte sich und konzentrierte sich auf den Eingang. Kein
Dwayne. Sollte alles vergebliche Mühe gewesen sein? Es war gleich zehn nach
acht. Dwayne hatte einen Neun-Uhr-Zug nach Baltimore erwähnt. Er mußte hier
sein. Sie stützte die Ellbogen auf die Theke und klebte fest. Verdammt. Sie zog
sie zurück, machte ein Taschentuch mit Spucke naß und wischte die klebrigen
Flecke von den Ellbogen.
Die dicke Frau rutschte vom Barhocker, nahm die Macy ‘s -Einkaufstasche und wartete. Die
Registrierkasse klingelte. Der Kellner gab ihr das Wechselgeld heraus,
zwinkerte der Rothaarigen anzüglich zu und schlenderte zu Wetzon hin.
»Was darf es sein, Kleines?« fragte er. Er
musterte sie, und sie sah ihm an, daß er zu dem Schluß kam, daß sie
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